Interview: Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers - „Führungszeugnis für Lehrer und Trainer“
Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers fordert vom Runden Tisch gegen Missbrauch konkrete Entscheidungen.
Düsseldorf. WZ: Herr Hilgers, Sie nehmen heute am Runden Tisch zum Thema sexueller Missbrauch teil. Im März hatten Sie die Ankündigung noch öffentlich kritisiert. Wie denken Sie jetzt darüber?
Hilgers: Mitte März gab es plötzlich drei Ministerinnen, die zu einem Runden Tisch einluden. Das war in dieser Form sinnloser Aktionismus und ein Zeichen von Hilflosigkeit seitens der Politik. Jetzt, wo es eine gemeinsame Runde gibt, ist es natürlich vernünftig, dass die Politik sich mit den Fachverbänden berät, bevor sie Maßnahmen ergreift.
WZ: Wann fängt sexueller Missbrauch bei Kindern an?
Hilgers: Die Definition ist eigentlich klar. Wenn jemand das zum Zwecke der eigenen Erregung macht, ist es sexueller Missbrauch. Das ist aus der Sicht des Opfers zu bewerten: Kinder merken sofort, ob ein Lehrer sie beim Duschen beaufsichtigt, damit nichts passiert, oder ob da mehr dahinter ist. Kinder spüren den Unterschied zwischen Aufsicht und Missbrauch früher als wir denken.
WZ: Haben Sie noch Vertrauen in den Aufklärungswillen der Kirche?
Hilgers: Ich denke, da hat sich in der Kirche in den letzten Jahrzehnten ein Wandel vollzogen. Wenn auch leider nicht bei allen Kirchenvertretern. Wir müssen aber beachten: Am Missbrauch ist immer der Täter Schuld, und nicht die Institution. Die Kirche hat sich allerdings durch das Schönreden, Vertuschen und Nicht-Melden mitschuldig gemacht, weil sie sich als Institution schützen wollte. Im Nachhinein hat sie sich dadurch noch mehr geschadet.
WZ: Glauben Sie, dass die Kirchenvertreter beim Runden Tisch sich anders verhalten?
Hilgers: Ich glaube, dass an diesem Tisch nur Kirchenvertreter sitzen, die mit dem Thema offen umgehen können.
WZ: Die Ministerinnen haben sich die Schlagworte Aufarbeitung, Prävention und Intervention auf die Fahnen geschrieben. Welche konkreten Maßnahmen erhoffen Sie sich von Kirche und Politik?
Hilgers: Zunächst sollte die zivilrechtliche Verjährung (drei Jahre, Anm. d. Red.) des sexuellen Missbrauchs der strafrechtlichen (zehn bis 20 Jahre, Anm. d. Red.) angepasst werden. Dass das noch nicht passiert ist, kann ich nicht begreifen. Es wäre unanständig, wenn Institutionen sich auf die Verjährung beriefen, um Entschädigungszahlungen zu entgehen.
WZ: Wie könnten Entschädigungsleistungen aussehen?
Hilgers: Das könnte im Einzelfall die Finanzierung einer Therapie sein. Allgemein müssen aber auch vorhandene Hilfseinrichtungen personell und finanziell besser ausgestattet werden. Ich habe die große Sorge, dass wir für die gestiegene Nachfrage nach Hilfsangeboten nicht genügend Personal haben. Außerdem muss die Ausbildung von Lehrern, Erziehern, aber auch der Eltern so verbessert werden, dass sie die Signale für Missbrauch erkennen und richtig würdigen können.
WZ: Wie kann sexueller Missbrauch in Schulen oder Vereinen zukünftig verhindert werden?
Hilgers: Ich bin dafür, dass Lehrer, Erzieher oder Trainer im Verein regelmäßig ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen müssen, das speziell Sexualstraftaten einbezieht. Das Zeugnis sollten die Behörden kostenlos ausstellen. Damit würde Wiederholungstaten vorgebeugt, und Missbrauch wäre als Thema regelmäßig auf der Tagesordnung.