Karriereplanung: Familie kann erstmal warten
Viele Paare entscheiden sich erst spät für Kinder. Freizeit und Karriere gehen vor.
Wiesbaden. Freizeit und Konsum, Selbstverwirklichung und Karriere: Vieles hält junge Paare in Deutschland erstmal von der Familiengründung ab. Je später das erste Kind kommt, desto weniger Geschwister wird es haben. Dies gilt nicht nur für Akademikerinnen, sondern unabhängig von der Ausbildung der Frau, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit einer Erhebung belegt. „Es hat sich ein Wertewandel vollzogen“, sagt Bevölkerungsforscher Prof. Ralf. E. Ulrich von der Uni Bielefeld.
„Die Ehen unserer Großeltern und Eltern waren noch klar auf die Familiengründung ausgerichtet.“ Heute setzten Paare bis an die Schwelle zu ihrem 30. Geburtstag aber vor allem auf Selbstverwirklichung, Liebe und Seelenpartnerschaft. Und Paare, die sich spät für ein Baby entscheiden, bekommen oft gar keins oder kein zweites mehr. Ein gutes Viertel aller Frauen in Deutschland bleibt der Statistik zufolge kinderlos.
„Die Kinderbetreuung allein ist es nicht“, betont Ulrich. Die Politik versuche, relativ kurzschlüssig, das Problem nur mit Geld zu lösen. Als Beispiel nennt Ulrich das Elterngeld: „Dessen demografische Wirkung ist ja weitgehend ausgeblieben.“
Eine schwangere 37-Jährige mit vier Kindern, die im Präsidentschaftswahlkampf mitmischt? „Das finden die Isländer toll“, sagt Zukunftsforscher Andreas Steinle. Die Werte-Vorstellungen in Deutschland seien aber noch immer anders und es mangle an Betreuungsangeboten.
Gerade bei der Ganztagsschule liege Deutschland international zurück. „Das ist das Nadelöhr zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie.“ Aber er sagt auch: „Die Zahl der Wunscheinzelkinder steigt.“ Viele Paare merkten, „dass Familie und Beruf mit einem Kind doch einfacher unter einen Hut zu bringen sind“.
Längere Ausbildungszeiten, Erfahrungen mit Scheidung und Rollenkonflikte — Steinle sieht neben der mangelnden Infrastruktur für berufstätige Eltern und deren Kinder noch eine Reihe anderer Gründe, weshalb sich Paare spät für Nachwuchs entscheiden. „Höhere Bildung ist das beste Verhütungsmittel“, sagt er. Außerdem: „Etwa jede dritte Ehe wird geschieden. Die Soziologen sprechen von einer Vererbung der Scheidung.“ Gemeint ist, dass sich Scheidungskinder leichter trennen.
Viele Paare sähen heute zwar ihr Ideal darin, sich gleichberechtigt um Familie und Beruf zu kümmern. Wenn sich dies jedoch als unrealistisch erweise, baue der Mann eher auf das traditionelle Modell, während die Frau ihre eigene Unabhängigkeit über die Familienplanung stelle. Ein typischer Konflikt. Denn: „Ideale Rahmenbedingungen gibt es nur selten.“