Kommunalwahlen in der Türkei Ein starkes Zeichen
Der türkische Präsident Erdogan hat im zehnten Jahr seiner Amtszeit eine rare und empfindliche Niederlage einstecken müssen. Dort, wo er selbst einmal Oberbürgermeister gewesen war, ist die Dimension besonders gut zu erfassen: Die 15,5-Millionen-Einwohner-Metropole Istanbul ist bei den türkischen Kommunalwahlen nicht zurück in AKP-Hand gewählt worden, wie es Erdogan mit viel persönlichem Einsatz dort als Ziel ausgerufen hatte, sondern mit mehr als einer Million Stimmen Vorsprung an die sozialdemokratische CHP und deren bereits amtierenden Bürgermeister Ekrem Imamoglu gegangen – ein Erdrutschsieg für Erdogans stärksten Widersacher.
Insgesamt hat die CHP mehr große Städte gewonnen als Erdogans konservativ-islamische AKP. Und in den Provinzen gilt das ohnehin. Das heißt: Von dem Erdogan-Fanatismus von einst, der bei den in Deutschland lebenden Türken zuletzt immer wieder besonders stark gelebt und gewählt wurde, verabschiedet sich die Türkei selbst immer mehr.
Das ist ein gutes Zeichen für die politische Großwetterlage in Europa, weil man die Türkei nach der jüngsten Präsidentschaftswahl zugunsten von Erdogan eher gen Osten verabschiedet hatte als sie leidlich gedanklich für eine EU aufzubauen. Und es ist ein guter Beweis dafür, dass selbst ein autoritärer Präsident das Ausmaß seiner politischen Resilienz nur über ein Volk erhöhen kann, dem er in dessen alltäglichen Leben gut tut. Das gelingt ihm in der Türkei nicht mehr. Die Einkommen der Menschen verlieren immer mehr an Wert: Die Inflationsrate liegt bei 67 Prozent, ein extremer Wert. Vor allem Rentner wenden sich von Erdogan ab. Und: In der eigenen Partei kann der Präsident keine Politiker von Format präsentieren, die für die großen Städte in Frage kämen: Zu lange hat Erdogan niemanden neben sich groß werden lassen. Die vielleicht beste Nachricht: Erdogan regiert in seiner letzten Wahlperiode. Und mit dem starken Zeichen dieser Kommunalwahl ist es immer unwahrscheinlicher, dass es dem übergriffigen 70-Jährigen noch einmal gelingt, per Verfassungsänderung eine weitere Amtszeit ab 2028 möglich zu machen.