Haushalt Finanzcoup am Rhein oder Trickserei? NRW brauchte 2016 keine Kredite
Es kommt unerwartet. Der NRW-Finanzminister verkündet vier Monate vor der Landtagswahl, dass nach Jahrzehnten mit immer neuen Krediten 2016 ein Plus erwirtschaftet wurde. Der Opposition ist Wind aus den Wahlkampfsegeln genommen. Experten sehen keinen Grund zur Euphorie.
Düsseldorf. Es ist eine handfeste Überraschung: Vier Monate vor der Landtagswahl tritt NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) in Düsseldorf vor die Medien und hat eine erstaunliche Zahl im Gepäck: Das Land hat das Haushaltsjahr 2016 mit einem Plus von 217 Millionen Euro abgeschlossen. Wie bitte? Vorgesehen waren im Etat eigentlich 1,8 Milliarden Euro neue Kredite - eine gewaltige Diskrepanz. Wundersame Geldvermehrung im bevölkerungsreichsten Bundesland?
Rot-Grün hatte noch im September einen Nachtragshaushalt von rund 550 Millionen Euro verabschiedet, weil man mehr Geld brauche für Flüchtlingsintegration und wichtige Zukunftsausgaben. Und nun lautet plötzlich am Donnerstag die frohe Botschaft: Nordrhein-Westfalen hat einen Überschuss erzielt und im vergangenen Jahr erstmals seit 1973 keine neuen Kredite gebraucht. Das Staunen ist groß.
Zu den Fakten: Der Finanzminister verdankt die positive Entwicklung zu einem großen Teil den weiter sprudelnden Steuereinnahmen. Veranschlagt waren 52,7 Milliarden Euro Steuereinnahmen für den NRW-Etat - tatsächlich ist aber 2016 eine ganze Milliarde Euro mehr in den Landestopf geflossen. Darunter waren gut 800 Millionen Euro für Flüchtlinge, die der Bund dem Land über die Steuer zugewiesen habe, erläutert Walter-Borjans. Außerdem habe man auf der Ausgabenseite unter dem Strich eine Milliarde Euro eingespart. Dabei habe er mitunter auch bei Ausgaben für „sinnvolle Vorschläge“ auf die Bremse treten müssen. NRW komme unter allen Bundesländern auf die zweitniedrigsten Ausgaben pro Kopf.
Das neue Zahlenwerk der Regierung stößt bei der Opposition auf Zweifel und Kritik. CDU-Finanzexperte Marcus Optendrenk spricht von „Tricksereien“. So habe der landeseigene Bau- und Liegenschaftbetrieb noch eine Sondertilgung an das Land in Höhe von 585 Millionen Euro abführen müssen. Und dass es zu Personalausgaben in „erheblichem Umfang“ dann doch nicht gekommen sei, liege schlicht daran, dass Stellen in der Landesverwaltung nicht besetzt werden konnten, bemängelt Optendrenk. Rot-Grün solle sich bei der Bundesregierung für die „hervorragenden Rahmenbedingungen“ bedanken, statt sich mit Haushaltskonsolidierung zu brüsten.
Auch Ralf Witzel, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, betont: Es sei nicht Verdienst der Regierungsmannschaft von Hannelore Kraft (SPD), dass die Steuereinnahmen bundesweit auf Rekordfahrt blieben. Rot-Grün sei bloß Profiteur. Die Etatzahlen hält Witzel für geschönt - nach ehrlicher Rechnung habe NRW 2016 erneut in Milliardenhöhe Schulden gemacht, meint die FDP. Der gesamte NRW-Schuldenberg türmt sich auf mehr als 140 Milliarden Euro.
Die Opposition attackiert Rot-Grün seit Jahren wegen immer neuer Kredite und hat Kraft den Titel „Schuldenkönigin“ verpasst. Nun dürfte es schwieriger werden, hier im Wahlkampf zu punkten. Denn dass NRW - ganz im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern - nur auf Pump wirtschaften könne, lässt sich jetzt zumindest für 2016 nicht mehr behaupten. Nordrhein-Westfalen gehört für das vergangene Jahr nun zur größeren Hälfte der Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg, die ohne neue Schulden klarkamen.
Der Finanzminister will aber nicht in Euphorie verfallen. Dazu gibt es auch nach Einschätzung des Bunds der Steuerzahler (BdSt) keinen Anlass. Wenn NRW ab sofort keine neuen Schulden mehr machen würde und ein Prozent der Steuereinnahmen für Sondertilgungen einsetzte, könne sich das Land im Jahr 2359 als schuldenfrei bezeichnen - rund 300 Jahre nach Bayern, rechnet der BdSt-Landesverband vor.
Dabei ist noch gar nicht klar, ob nun die Trendwende ein für alle Mal geschafft ist. Walter-Borjans freut sich zunächst: „Der erreichte Haushaltsausgleich ist ein Meilenstein.“ Es gehe ihm gar nicht „um einen Wettlauf um die schnellste Erreichung der schwarzen Null“. Rot-Grün werde weiter in Bildung, Sicherheit, sozialen Zusammenhalt, Infrastruktur oder Kommunen investieren.
Wie geht es 2017 weiter? In den nächsten Wochen setzen sich die Fachleute im Finanzministerium noch mal an alle Kalkulationen. Man werde schauen, ob auch hier die Neuverschuldung - geplant sind bisher 1,6 Milliarden Euro - deutlich nach unten korrigiert werden könne, sagt Walter-Borjans. Versprechen will er noch nichts Genaues. Nur: Die vorgeschriebene Schuldenbremse - ab 2020 keine neuen Kredite mehr - schaffe das Land definitiv und dann dauerhaft.