Geologischer Dienst NRW „Früher waren wir relativ blind“: Neues Erdbeben-Alarmsystem

Für eine halbe Million Euro hat NRW ein automatisches Alarmsystem für Erdbeben entwickelt. Ob es selbst erdbebensicher ist, muss sich noch zeigen.

Ein Erdstoß wird am Donnerstag in Krefeld von den Bildschirmen des Erdbebenalarmsystems (EAS NRW) angezeigt.

Foto: Federico Gambarini

Krefeld. Den ersten Ernstfall hat das neue System schon bestanden. Als am 13. Mai ein Erdbeben den Niederrhein erschütterte, vibrierten die Seismographen so stark wie schon lange nicht mehr: Wo sonst weitgehend gerade Linien verlaufen, zuckten die roten Ausschläge über den halben Monitorbildschirm.

Nach vier Minuten war klar, wo das Epizentrum lag (bei Spa in Belgien), welche Stärke das Beben hatte (3,0 auf der Richterskala) und welche Schäden es in NRW angerichtet hatte (keine). Damit war man in der NRW-Erdbebenzentrale in Krefeld deutlich unter den angestrebten sieben Minuten geblieben.

„Früher waren wir relativ blind“, räumt Erdbeben-Experte Klaus Lehmann ein. Es dauerte etwa einen halben Tag, bis die Daten abgerufen und errechnet waren. Feuerwehr und Polizei hatten durch Hunderte Anrufer längst einen Überblick über die betroffenen Gebiete und Schadensausmaß, bevor die Daten aus Krefeld vorlagen.

Früher - das war bis Mittwoch. Denn am 13. Mai gab es nur einen internen Testbetrieb, das neue Alarmsystem ist erst am Donnerstag in den Echtbetrieb gegangen. Die 14 Messstationen im Land senden ihre Daten nun im 10-Sekunden-Takt an Server in Düsseldorf und Krefeld. Dort beginnt das große Rechnen. Ab einer Stärke von 3 auf der Richterskala wird rund um die Uhr Alarm geschlagen. Die Lagezentren von Polizei und Landesregierung werden alarmiert. Zeitgleich wird die Meldung im Internet veröffentlicht („www.gd.nrw.de“).

Die Computer müssen durch diverse Abgleiche aber noch eine Reihe potenzieller Fehlerquellen ausschließen. Etwa, dass es sich bei der Ursache nicht um schwere Lastwagen handelt, oder um die Ausläufer eines tausende Kilometer entfernten Bebens.

Handelt es sich tatsächlich um ein starkes Beben in der Region, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. „Wir gehen davon aus, dass bei einem stärkeren Beben die Telefonnetze und Internetseiten wegen Überlastung zusammenbrechen“, sagt Lehmann. Ob vier Minuten reichen, wenn Hunderttausende gleichzeitig die Erdbebenseiten im Internet ansteuern und Zehntausende die Notrufe von Polizei und Feuerwehr? „Das wird sich zeigen.“

Vier Minuten. In Zeiten, in denen Börsendaten in Millisekunden gehandelt werden, scheint das eine Ewigkeit. Allerdings dauert das Beben in der Regel zwei bis drei Minuten und die Wellen der Erdstöße benötigen eine Sekunde für sechs Kilometer Strecke. Die meiste Zeit vergeht also, bis das Geschehen unter der Erdoberfläche überhaupt an den Messstationen erfasst ist.

Den Ausfall einzelner Messstationen und eines Servers durch das Beben selbst kann das System jedenfalls verkraften. Außerdem stehen die Server in Düsseldorf und Krefeld in relativ erdbebensicheren Gebieten. Unruhig ist der Boden vor allem in der niederrheinischen Bucht. In Roermond und Düren ereigneten sich in den vergangenen 300 Jahren die stärksten Beben. Dort ist Erdbeben-Gefahrenzone 3, die höchste in NRW.

Ausschlafen können die Krefelder Geologen und Physiker trotz des automatischen Alarms nicht, wenn die Erde wackelt, sagt Martin Hiß, Sprecher des Geologischen Dienstes NRW: „Wir bekommen den Alarm als SMS und müssen dann rasch in die Zentrale, um die Daten nachträglich zu überprüfen.“