WZ-Interview mit dem NRW-Innenminister Ralf Jäger: „Asylverfahren dauern viel zu lange“
Ralf Jäger, NRW-Inneminister, über Flüchtlinge in Deutschland, die Pegida-Bewegung und warum er bei Bundesliga-Spielen weniger Polizei einsetzt.
Herr Innenminster Jäger, in Köln muss gerade eine Kommunalwahl neu ausgezählt werden, obwohl das der Innenminister im vergangenen Jahr noch untersagt hat.
Ralf Jäger: Das ist nicht ganz richtig. Aktuell geht es allein um Auffälligkeiten im Stimmenbezirk Rodenkirchen. Es hatte aber in Köln einen Ratsbeschluss gegeben, noch einmal die komplette letzte Kommunalwahl auszählen zu lassen. Den habe ich kritisiert, weil er dem Wahlrecht widerspricht. Diese Auffassung ist vom Verwaltungsgericht bestätigt worden.
Der Vorgang ist einigermaßen blamabel, finden Sie nicht?
Jäger: Die Nachzählung in dem einzelnen Briefwahlstimmbezirk Rodenkirchen hat nun eben Auswirkung auf das Gesamtergebnis. Ich glaube, dass die Kölner Grünen und Sozialdemokraten dennoch versuchen werden, Rot-Grün in Köln fortzusetzen.
Obwohl sie sich nicht auf einen gemeinsamen Oberbürgermeister- Kandidaten einigen können?
Jäger: Das ist doch üblich und nicht Köln-typisch. Auch wenn in Großstädten Kooperationen stattfinden, einigen sich die wenigsten auf einen gemeinsamen Kandidaten. Das ist etwa auch in Duisburg der Fall.
Duisburg ist ein gutes Beispiel für die Frage, ob es wirklich sinnvoll war, die Fünf-Prozent- Hürde zu beseitigen.
Jäger: Die Kommunalpolitik leidet heute unter den Folgen. Die Handlungsfähigkeit ist eingeschränkt. Im Duisburger Rat gibt es jetzt 13 Einzelpersonen und Fraktionen. Es ist erstaunlich, welche Personen und Gruppen sich dort zusammenschließen, um an die Fleischtöpfe, die Fraktionsgelder, zu kommen. Da werden Ideologien über den Haufen geworfen. Da wird bis morgens um 4 Uhr getagt — und wir reden hier von Ehrenämtlern. Die Zerfaserung ist nicht gut für die Demokratie. Die Diskussion um eine neue 3-Prozent- Hürde ist deshalb richtig. Wir müssen nur schauen, dass wir es verfassungsfest hinbekommen.
Die Parteien binden immer weniger Bürger. Ein Phänomen, das daraus entstanden ist, war die Pegida-Bewegung. Sie haben diese Menschen schnell als Nazis in Nadelstreifen bezeichnet.
Jäger: Ich habe die Organisatoren von Pegida in NRW so bezeichnet, das ist ein großer Unterschied. Ich fühle mich inzwischen mehr als bestätigt. Das sind organisierte Rechtsextremisten, die das veranstalten. Da läuft Kundschaft von Verfassungsschutz und Polizei mit. Das sind Rattenfänger. Es war wichtig, genau das klar zu formulieren. Wir haben in Deutschland kaum Rechtspopulisten und Extremisten im Bundestag und die NPD nur in einem Landtag. Um uns herum in Europa sieht das ganz anders aus.
Die Bewegung flaut ab, die Menschen sind aber noch da. Und 40 Prozent der Wahlberechtigten sind nicht durch eine Partei im Bundestag vertreten. Eine bedenkliche Entwicklung?
Jäger: Die ausländerfeindlichen Köpfe sind da, das braune Gedankengut ist da, die finden aber keinen Widerhall in der Gesellschaft. Man muss aus der Mitte der Gesellschaft dagegenhalten. Bei der letzten Bundestagswahl sind 19 Parteien angetreten. Wer sich in diesem Portfolio nicht wiederfindet, der hat eher ein Problem mit sich selbst als mit der Demokratie. Wir haben jetzt eine große Koalition, die bindet 62 bis 64 Prozent der Wähler, das waren früher über 90 Prozent.
Zur Flüchtlingsthematik: Wir hatten den Skandal im Flüchtlingsheim Burbach, jetzt in Hannover. Wie bewerten Sie die Grundstimmung?
Jäger: Ich sehe es differenzierter. Viele Deutsche wissen: Syrien ist mit 7,5 Millionen Flüchtlingen die humanitäre Katastrophe unseres Jahrzehnts, Libanon mit vier Millionen Einwohnern hat eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Die Menschen wissen: Das sind Kriegsflüchtlinge, die hier Schutz suchen — und den sollen sie auch bekommen. Es gibt durchaus unglaubliche Hilfsbereitschaft. Und ich bin sehr dankbar für dieses Engagement.
Aber?
Jäger: Probleme bereiten uns die Menschen aus dem Westbalkan, die hier in der Regel kein Asyl finden. Ich kann dennoch deren Motivation, hierherzukommen, nachvollziehen. Früher waren es häufig Roma, die vor Ort keinen Zugang zu Bildung haben. Im Februar diesen Jahres war es aber der kosovarische Mittelstand, der sich zu uns auf den Weg gemacht hat. Die gehen Schlepperorganisationen auf dem Leim, die ihnen Versprechungen auf ein Leben in Deutschland machen. Diesen Menschen muss man schneller ehrlich sagen, dass sie hier keine Chance auf Asyl haben, damit nicht weitere motiviert werden, ihnen zu folgen. Aber das eigentliche Grundproblem ist in Deutschland, dass unsere Asylverfahren viel zu lange dauern.
Wie lässt sich das schnell korrigieren?
Jäger: Wir haben in den vergangenen vier Jahren einen sprunghaften Anstieg der Asylbeweberzahlen, jährlich eine Verdoppelung. Es offenbart sich ein Systemfehler: Den Druck der Aufnahme spüren bei uns nur Länder und Kommunen — und nicht der Bund. Aber der Bund ist Herr des Verfahrens. Der Bund hat in diesen vier Jahren zu wenig Personal aufgerüstet, 200 000 Asylanträge liegen da unbearbeitet. Die Flüchtlinge sind zum Teil 20 bis 24 Monate in Gemeinschaftsunterbringungen, bis die erstmal die zweite Anhörung beim Bund haben. Weil er ein schlechtes Verwaltungsverfahren im Umgang mit Asylbewerbern hat. Da fasst man sich an den Kopf. Denn unter den Flüchtlingen sind gut ausgebildete, die keinen Sprachkurs und keinen Arbeitsplatz bekommen. Wir verpassen Chancen.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Jäger: Das Problem ist, dass die Lösungen Zeit brauchen. Wir haben in Berlin richtig Druck gemacht. Innenminister Thomas de Maizière hat weitere 750 Stellen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekommen. Bis die letzte Stelle besetzt ist und die anfangen können zu arbeiten, vergeht aber ein Jahr. Wir werden mit diesem Zustand also noch ein bis zwei Jahre leben müssen.
Brauchen wir nicht ein Einwanderungsgesetz?
Jäger: Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung brauchen wir ein Einwanderungsgesetz. Dass wir uns selbst überlegen: Wen brauchen wir? Wir sind aber auch historisch und humanitär dazu verpflichtet, Menschen hier Schutz zu geben, die verfolgt werden. Unabhängig davon, mit welcher Qualifikation sie kommen. Nur müssen wir da schneller werden. Am 18. Juni ist die nächste Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin, dann sollen dazu klare Beschlüsse gefasst werden, Daran arbeiten inzwischen acht Arbeitsgruppen.
Die Zahl der gewaltbereiten Salafisten ist nach oben geschnellt, Sie setzen auf Prävention über die Wegweiser- Beratungsstellen. Reicht das?
Jäger: Wir beobachten die salafistische Bewegung seit 2008. Sie wächst dynamisch in ganz Europa. Klar ist aber auch: Es gibt vier Millionen Muslime in Deutschland, die friedlich mit uns zusammenleben wollen. 8000 Salafisten sind eine absolute Minderheit. Nicht der Islam an sich ist das Problem. Zu meist werden junge Menschen angeworben, häufig Männer, die nach Werten und Orientierung suchen. Wir haben mehrere Lebensläufe ausgewertet: Alle haben Versagenserlebnisse hinter sich, stehen eher am Rande der Clique. Und treffen dann auf einen radikalen Salafisten, der zweierlei verspricht: 1. Wir haben auf alles einfache Antworten. 2: Du bist wer bei uns. Ihnen wird die Möglichkeit eröffnet, all das auszuleben, indem man über die Türkei nach Syrien und den Irak reist, um dann aktiv an den Kämpfen teilzunehmen.
Wie verhindern Sie das?
Jäger: Klare Repression und Prävention. Wir versuchen, Ausreisen zu verhindern. Uns hilft das neue Personalausweisgesetz. Damit können wir besser verhindern, dass eine Ausreise in die Kriegsgebiete durch die Hintertür über die Türkei stattfindet. Wir dürfen Terrorismus nicht exportieren. Und: Jene, die zurückkehren, stellen ein Risiko dar. Wir gehen im salafistischen Extremismus von etwa 300 Gefährdern in NRW aus. Vor Paris und Kopenhagen sind wir davon ausgegangen, dass uns Anschläge aus komplexeren Zellen drohen. In Paris und Kopenhagen aber waren Einzeltäter am Werk. Wenn man diese Schablone auf unsere Gefährder legt ist klar, warum wir einige jetzt noch genauer beobachten.
Werden diese Gefährder rund um die Uhr beobachtet?
Jäger: Ja, solche gibt es. Jemanden rund um die Uhr zu beobachten, bindet aber etwa 25 Leute. Dafür haben wir Verfassungsschutz und Polizei aufgerüstet.
Im Fußball sind Sie einen neuen Weg gegangen, indem sie weniger Polizei eingesetzt haben. Sie haben das als Erfolg gefeiert. Was erwartet uns in der nächsten Saison?
Jäger: 30 Prozent der Einsatzzeiten unserer Bereitschaftspolizei gehen nur für Fußball drauf. Unter dieses Massenevent mischen sich Straftäter. Ich habe es am vorvergangenen Wochenende beim Aufstieg des MSV Duisburg in die 2. Liga erlebt: 7000 Fans stürmten aus der Kurve zum Spielfeld. Dreihundert Krawallmacher rannten in Richtung gegnerische Kurve und schossen mit Leuchtmunition auf die Kieler Fans. In einem Moment, wo es nur etwas zu feiern gibt, wollen sich einige prügeln. Wir hätten in dieser Saison aufgrund von mehr Ligaspielen in NRW eigentlich zehn Prozent mehr Beamte einsetzen müssen.
Was haben Sie gemacht?
Jäger: Wir haben uns angeschaut, bei welchen Spielen es nie Ärger gab. Und da haben wir weniger Polizisten als bisher eingesetzt. Das geht. Das gilt aber nicht für Risikospiele. Bei einem Spiel wie Dortmund gegen Schalke sind 3000 Beamte im Einsatz. Das ist das Thema für die nächste Saison: Wie können wir da auf etwa 2500 reduzieren? Man muss über die Frage der Gästekartenreduzierung nachdenken. Die Gästefans machen oft den Ärger. Dann ist da einfach mal in deren Block ein Streifen leer. Das hat Schalke mal gegen Dortmund getestet, das lief hervorragend, ist aber wieder aufgegeben worden. An dieser Schraube würde ich gerne in der nächsten Saison drehen.
Das Land Bremen hat eine Rechnung an die deutsche Fußball Liga gestellt. Kommt so etwas für NRW in Frage?
Jäger: In Bremen haben sie beschlossen, bei kommerziellen Großveranstaltungen den Polizeieinsatz in Rechnung zu stellen. In Bremen gibt es aber nur Fußball. In NRW liegen die Dinge anders, das ist nicht übertragbar. Ich möchte vermeiden, dass die Vereine aus der Verantwortung sind, wenn sie bezahlt haben. Die Vereine sollen in die Verantwortung. Nur gemeinsam können wir unsere tolle Fankultur erhalten.
Thema Großveranstaltung: Es kann Sie nicht zufriedenstellen, dass es fünf Jahre nach der Loveparade noch immer keine rechtliche Aufarbeitung gibt.
Jäger: Meine Sicht als Innenminister ist da nicht entscheidend, aber die Angehörigen können nach fünf Jahren noch immer nicht abschließen. Es geht um die Frage, dass man Verantwortlichkeiten festlegt. Das dauert auch für mich zu lange. Es ist aber auch ein Hinweis darauf, dass es keine monokausale Verantwortung gibt. Ich habe ein gewisses Verständnis für Juristen, aber für die Angehörigen ist das nicht hinnehmbar.
Auch das Land kann doch ohne abgeschlossene Aufarbeitung nicht entscheiden, ob man nicht ein anderes Recht bräuchte.
Jäger: Aus meiner Sicht sind es zwei verschiedene Dinge - wen trifft welche Schuld und wie sorgen wir in der Zukunft dafür, dass Großveranstaltungen mit deutlich höheren Sicherheitsstandards geplant werden. Eine Katastrophe wie die Loveparade darf sich nicht wiederholen. Deshalb haben wir frühzeitig geregelt, wie wir Kommunen unterstützen, die mit solchen Veranstaltungen völlig unerfahren sind. Wenn es um die Vermeidung von Risiken geht, haben wir die Latte sehr hoch gelegt. Ab 5000 Teilnehmern zum Beispiel bei Festivals, Kirmesveranstaltungen und Karnevalsumzüge muss es etwa ein Sicherheitskonzept geben. Viele Veranstalter haben schon kritisiert, dass die Auflagen zu streng sind. Aber das ist die zentrale Lehre aus der Loveparade - im Zweifelsfall gegen das Risiko.