Interview mit Hannelore Kraft: „Frauen sind sicherlich pragmatischer“
Die neue Ministerpräsidentin über Mehrheiten, die Loveparade und den Politikstil.
Frau Kraft, ihre rot-grüne Minderheitsregierung will nach der Sommerpause durchstarten. Dazu benötigen Sie weitere Partner. Wer wird das sein?
Kraft: Das warten wir mal in Ruhe ab. Wir haben zu einer Bildungskonferenz eingeladen, um die weiteren Schritte zu erörtern. Alle Fraktionen haben zugesagt. Und ich nehme mit großem Interesse wahr, dass sich sowohl FDP und CDU nicht versperren.
Kraft: Ich nehme CDU und FDP immer ernst. Und das Thema gebietet das auch. Wir müssen dringend Fortschritte im Bereich der Bildung machen. Unser Ziel ist ein dauerhafter Schulfrieden. Eltern, Lehrer und Schüler erwarten, dass an konkreten Verbesserungen gearbeitet wird.
Kraft: Wir laden alle zur Mitarbeit ein.
Kraft: Ich bin vor allen Dingen gespannt darauf, ob sich die Union inhaltlich neu aufstellt. Das haben die Wahlen gezeigt, das haben auch unsere Sondierungsgespräche mit der CDU gezeigt. In der Frage der Bildung ist ihre Position nicht klar erkennbar.
Kraft: Ab sofort. Die erste Genehmigung für die Gemeinschaftsschule läuft und wir werden auch den Ganztag an neuen Gesamtschulen wieder ermöglichen. Im kommenden Jahr werden wir im neuen Haushalt eine Milliarde Euro zusätzlich in die Zukunft von NRW investieren: Wir helfen den Kommunen, damit sie stärker in Vorbeugung investieren können. Wir schaffen die Gebühren für das letzte Kita-Jahr und die Studiengebühren ab. Und wir statten die Kitas finanziell deutlich besser aus.
Kraft: Der Nachtragshaushalt ist die Schlussbilanz der schwarz-gelben Vorgängerregierung. Wir müssen eine Lehrerlücke und die Unterfinanzierung beim U3-Ausbau schließen. Die Kommunen haben noch Anspruch auf rund 300 Millionen Euro, die ihnen das Land vorenthalten hat.
Und vor allem müssen die Rückstellungen für die WestLB erhöht werden. Da müssen wir eine ausreichende Risikovorsorge betreiben. Ab 2011 werden wir die Neuverschuldung senken. Dabei gehen wir bewusst neue Wege.
Kraft: Wir stärken die Vorbeugung im sozialen Bereich. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt, dass bundesweit das Wirtschaftswachstum bis 2030 um 69 Milliarden Euro steigt, wenn es uns in den nächsten zehn Jahren gelingen würde, die Zahl der Schulabbrecher zu halbieren. Das ist nur ein Ansatz. Wer nachhaltig sparen will, muss heute in Vorbeugung investieren.
Kraft: Ja, aber die Situation ist schwierig. Besser wäre es, sofort ein klares Bild von Schuld und Schuldigen präsentieren zu können, aber die Aufklärung braucht ihre Zeit. Die Frage der Schuld ist unabhängig von der nach der politischen Verantwortung. Das sehen auch die Angehörigen so.
Kraft: Ja, und das genieße ich auch. Ich habe aber auch täglich Begegnungen mit Menschen, die mir einfach Mut machen. Nur eins von vielen Beispielen: In Berlin hat mich eine Frau angesprochen "Sie sind doch meine Ministerpräsidentin." Dann haben wir nett geredet.
Kraft: Frauen sind sicherlich pragmatischer, hören mehr auf Herz und Bauch. Und sie haben nicht so viel Angst, Ihr Gesicht zu verlieren.
Kraft: Das werden wir sehen. Wir wollen so stabil wie möglich regieren. Sicher werden wir auch mal Abstimmungen verlieren. Wichtig ist der Haushalt 2011. In der Minderheitsregierung liegt eine große Chance, im Dialog die besten Lösungen für unser Land zu erreichen.
Die Bürger finden es gut, wenn es um die Sache geht und nicht um die alten politischen Rituale. Und die Alternative ist doch eine Neuwahl. Und dafür sehe ich im Landtag derzeit keine Mehrheit.