Schleswig-Holstein nimmt Kurs auf Neuwahl
Das Landesverfassungsgericht kippt das aktuelle Wahlgesetz. Bis 2012 müssen die Bürger nun ein neues Parlament wählen.
Schleswig. Im Sommer 2009 war es der spektakuläre Bruch der großen Koalition, ein Jahr später ist es ein Gerichtsurteil: Die Schleswig-Holsteiner steuern eine Neuwahl an. Die letzten Hoffnungen von CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, um einen vorgezogenen Urnengang herumzukommen, ließ das Landesverfassungsgericht am Montag platzen.
Spätestens im September 2012 und nicht erst regulär 2014 muss das Parlament neu gewählt werden; die Opposition peilt einen Termin möglichst 2011 an. Den bittersten Kelch müssen Carstensen und Kubicki aber nicht leeren, denn die Ein-Stimmen-Mehrheit von CDU/FDP ließ das Gericht unangetastet.
Mit seinem Urteil rückt das Landesverfassungsgericht gut ein Jahr nach dem Bruch der großen Koalition das nördlichste Bundesland wieder spektakulär in den Fokus. In Kiel wird erwartet, dass Carstensen nicht noch einmal als Spitzenkandidat antritt. Der 63-Jährige ließ das in einer ersten Reaktion offen. CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher (39), der als Kronprinz gilt, wollte sich zu der Frage unmittelbar nach Urteilsverkündung nicht konkret äußern. Er stellte Ende 2011 als Entscheidungstermin in Aussicht.
SPD-Landeschef Ralf Stegner (50) legte sich ebenfalls nicht fest, ob er wieder als Spitzenkandidat antreten will.
Wenn das Gericht auch noch die Sitzverteilung korrigiert hätte, wäre Schwarz-Gelb im Parlament mit 50:51 ins Hintertreffen geraten. Mit 101 hätte sich die Abgeordnetenzahl dann aber noch weiter von der Verfassungsvorgabe wegbewegt.
Für Carstensen nähert sich mit dem Urteil das Karriere-Ende schneller als geplant. Der CDU von Kanzlerin Angela Merkel droht nach Günther Oettinger, Jürgen Rüttgers, Christian Wulff, Roland Koch und Ole von Beust mit Carstensen bald ein weiterer Regierungschef aus der alten Garde abhanden zu kommen.
Mal wieder hat ein Verfassungsgericht gesprochen und die Parteien an die Grundsätze der Demokratie erinnern müssen. Wie schon in NRW bei der willkürlichen Fünf-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen oder dem verfassungswidrig angesetzten Termin für die Kommunalwahl 2009 sorgen nun die Richter im hohen Norden dafür, dass gewisse demokratische Regeln wieder eingehalten werden. Dazu zählt vor allem, dass sich in der Sitzverteilung der Parlamente die Mehrheitsverhältnisse eindeutig und nachvollziehbar abbilden müssen. Das ist nach Auffassung des obersten Gerichts in Schleswig-Holstein im dortigen Landtag derzeit nicht der Fall. Und das ist ein Skandal.
Der wird nicht dadurch gemildert, dass es sich bei dem kleinen Bundesland zwischen den Meeren um eine Polit-Provinz handelt. Die schwarz-gelbe Koalition unter Peter Harry Carstensen hat nur einen Sitz Mehrheit im Kieler Parlament. Die ist zwar direkt, also juristisch, vom Gericht nicht in Frage gestellt, aber unter moralischen Gesichtspunkten seit am Montag ein Auslaufmodell. Die Parteien an der Waterkant wären gut beraten, schnell und transparent ein einfaches Wahlrecht zu verabschieden. Dann könnte auch schon im kommenden Herbst gewählt werden. Wenn nach der vom Gericht entlarvten Trickserei überhaupt noch ein Bürger Lust hat, sein Kreuz zu machen.
frank.uferkamp@wz-plus.de