Kurden-Frage: Erdogan fasst das heiße Eisen an

Erstmals sucht ein türkischer Premier das Gespräch mit der Minderheit. Gegner sprechen von Verrat.

Düsseldorf. Die türkische Regierung nimmt derzeit Abschied von einer Lebenslüge, und wie immer bei solch schmerzhaften Revisionen geschieht das unter nur schwer zu kalkulierenden Risiken. Jahrzehntelang weigerte sich Ankara, auch nur die Existenz eines Kurdenproblems einzuräumen. Die Regierungen sprachen von "Berg-Türken" und Terrorismus.

Nach 25 Jahren bewaffnetem Kampf und fast 40.000 Toten auf beiden Seiten scheint Bewegung in den Konflikt zu kommen. Premier Tayyip Erdogan kündigte eine politische Initiative zur Lösung des Kurden-Problems an. Und der seit 1999 in Haft sitzende PKK-Führer Abdullah Öcalan hatte schon in der vorigen Woche seine "Road Map" zum Frieden abgeschlossen.

"Wir können mit einer politischen Lösung nicht länger warten, weil das die Tränen der Mütter der getöteten Söhne auf beiden Seiten nicht erlauben", hatte Premier Erdogan seinen Vorstoß begründet und Gespräche mit den Abgeordneten der kurdischen DTP geführt. Beides hatte wütende Proteste der nationalistischen Opposition und des in der Türkei stets zum Staatsstreich neigenden Militärs provoziert.

Denn dieser Satz Erdogans impliziert ja, dass es einen Gegner gibt, mit dem man reden müsse. Vom "Verrat am Türkentum" war die Rede. Erdogans AKP versucht deshalb, in der Gesellschaft einen breiten Konsens über ihren Vorstoß herzustellen, bevor sie Details nennt. Eine Freilassung Öcalans aber komme nicht in Frage.

Die vom Verbot bedrohte Kurdenpartei DTP warnte daraufhin, wer immer glaube, ohne Öcalan Frieden schaffen zu können, habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Öcalan selbst hat bereits auf eine Rolle bei den Gesprächen mit der Regierung verzichtet. Als Anfang der Woche seine Anwälte Öcalans Vorschläge abholen wollten, hatte das von der Marine gestellte Schiff sonderbarerweise einen Maschinenschaden und musste umkehren. Die Grundzüge des Papiers aber sind bekannt: Nicht mehr Unabhängigkeit, sondern nur Autonomie für die Kurden, kurdisch als Unterrichtsfach und eine Amnestie für alle PKK-Kämpfer.

Damit hat Öcalan der DTP einen weiten Spielraum in den Verhandlungen gegeben. Die DTP fordert natürlich weiter eine Freilassung Öcalans. Das wäre gegenwärtig für Erdogan politischer Selbstmord. Immerhin aber beweist Erdogan Mut. Und seine Initiative, soll sie nicht im nationalistischen Taumel der türkischen Opposition versanden, verdiente die Unterstützung der EU.