Analyse NRW-SPD ist Preistreiber der Groko — wie schon Kraft 2013

Die Partei nutzte die damalige Ministerpräsidentin für die Verhandlungen. Jetzt hat Groschek Krafts Rolle.

Der Landesvorsitzende der SPD, Michael Groschek, sieht eine Neuauflage dergroßen Koalition im Bund weiterhin skeptisch.

Foto: Marcel Kusch

Düsseldorf. Ohne sie ging nichts. Wer am Dienstag die ehemalige NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gelassen auf der Hinterbank im Düsseldorfer Landtag sitzen sieht, mag das kaum mehr für möglich halten. Aber noch 2013 bei den Berliner Koalitionsverhandlungen für eine zweite große Koalition nach 2005 bis 2009 war die Frau aus Mülheim an der Ruhr noch die entscheidende Frau: als „Kanzlerkandidatin der Herzen“, wie der „Stern“ über die seinerzeit stellvertretende Parteivorsitzende schrieb. Als Kraftzentrum der Sozialdemokratie. Und als Preistreiberin für die Genossen, wenn es um Inhalte ging. Wer die Groko wollte, musste an Kraft und ihrem Landesverband vorbei — eine Aufgabe, die die heute 56-Jährige mit Vehemenz („So können wir nicht verhandeln“) gespielt hat: Es ist am Ende viel sozialdemokratische Politik in der jüngsten Groko umgesetzt worden. Dass das der SPD nicht zugute gekommen ist — dafür konnte Kraft letztlich weniger.

Was seinerzeit gut war, muss jetzt nicht schlecht sein — mag man sich auch in der SPD-Parteizentrale gedacht haben. Und so ist das Spiel längst neu gestartet: 2017/18 ist Kraft-Nachfolger Michael Groschek als SPD-Landesvorsitzender in NRW bei den laufenden Verhandlungen der sozialdemokratische Bedenkenträger, ergo Preistreiber. Groschek warnte, die SPD könne zum „Wackeldackel“ werden und ein erneutes Bündnis mit der Union nicht mehr „verkraften“, SPD-Fraktionschef Norbert Römer ätzte in dieser Zeitung: „In der NRW-Landtagsfraktion gibt es keine einzige Sympathiebekundung für eine große Koalition.“

Die Parallelen zu Kraft 2013 sind verblüffend. Und jeweils ist es eine Mischung aus echter Abneigung und taktischem Partei-Kalkül: Krafts NRW-SPD hatte unter der ersten großen Koalition (2005-2009) in Berlin gelitten. Und Kraft selbst war einer NRW-Koalition mit der CDU nach ihrem Wahlsieg 2010 durch eine Minderheitsregierung mit den Grünen aus dem Weg gegangen.

Glaubwürdig also konnte sie 2013 als Schwergewicht gegen die Groko argumentieren, in der sie ohnehin für sich persönlich nie eine Ambition wähnte. Es musste manches Merkel-Zugeständnis her, damit Kraft und der größte SPD-Landesverband, der ein Viertel der SPD-Delegierten auf jedem Parteitag stellt, überzeugt wurde — und Merkel in Berlin die Ruhe hatte, die sie schätzt.Und jetzt? Sind die Sozialdemokraten in NRW bei der Landtagswahl-Pleite im Mai 2017 durch eigenes Verschulden auf 31 Prozent gefallen, ohne Zweifel aber wieder auch durch den Groko-Auftritt in Berlin geschwächt worden. Und sind deshalb glaubwürdiger Anwalt der „#NoGroko“-Option, wie sie am lautesten von den Jusos eingefordert wird. Es ist Michael Groschek gelungen, die Abneigung gegen eine erneute Verzwergung unter Merkels Fuchtel im NRW-Landesverband zur vorherrschenden Gefühlslage zu befehlen. Nächste Parallele: Auch Groschek fällt das im Gegensatz zu anderen an der Parteispitze nicht schwer. In Berlin will auch der 61-Jährige nichts mehr werden.

Überzeugung oder Kalkül? Immerhin ist das Verhalten konsistent: Auf Antrag der NRW-SPD auf dem Berliner SPD-Parteitag entscheidet ein Sonderparteitag (und nicht ein Parteikonvent) über die Aufnahme von Verhandlungen mit der Union. Sollte es in den für die SPD wichtigen Punkten keine Einigung geben, so hatte Groschek vor dem geltenden Sprechverbot mitteilen lassen, und Arbeitsmarkt, Gesundheits- und Sozialpolitik gemeint, werde er für die NRW-SPD im Parteivorstand gegen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen stimmen.