NRW-Windbranche fürchtet um ihre Existenz

Düsseldorf. Reiner Priggen war fünf Jahre lang Fraktionsvorsitzender der Grünen im NRW-Landtag. Jetzt ist er Vorsitzender des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW. Vielleicht gerade wegen seiner politischen Vergangenheit reitet er keine polemische Attacke gegen die neue schwarz-gelbe Landesregierung, sondern appelliert an ihre Vernunft.

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Es sei ja in Ordnung, wenn die neue Koalition den Windenergie-Ausbau herunterfahren wolle. „Aber eine Branche so kaputt machen, das kann keiner wollen.“

Denn die Windkraftfirmen sehen sich derzeit von zwei Fronten bedrängt. Das seit diesem Jahr geltende Ausschreibungssystem für Windkraftanlagen an Land hat nach ihrer Einschätzung dramatische handwerkliche Fehler. Eigentlich wollte die große Koalition in Berlin damit die Bürgerenergiegesellschaften fördern. Sie dürfen sich auch mit noch nicht genehmigten Anlagen beteiligen und müssen erst innerhalb von fünf Jahren bauen. In der Praxis hat das aber dazu geführt, dass ein ostdeutscher Anbieter mit einem Geschäftsführer für 42 Gesellschaften in großem Stil Marktvolumen ersteigert hat, während NRW in der zweiten Ausschreibungsrunde im August ganz leer ausgegangen ist.

Der Grund: Bürgerenergiegesellschaften dürfen mit Anlagenpreisen der Zukunft kalkulieren. „Und wenn Sie heute mit Anlagen rechnen, die Sie erst in fünf Jahren bauen müssen, haben Sie 15 Prozent weniger Kosten“, sagt Priggen. Konkret: Im vergangenen Jahr wurden in NRW 211 neue Windkraftanlagen in Betrieb genommen, im ersten Halbjahr 2017 noch mal 114. Zum Jahresende werden es 220 bis 230 sein. Bis Sommer 2018 kommen weitere schon im vergangenen Jahr genehmigte 60 bis 70 Anlagen dazu, dann erfolgt der totale Bruch: „Ab Sommer 2018 werden es nach jetzigem Stand zwei Anlagen sein“, kündigt Heinz Thier an, Geschäftsführer der BBWind GmbH, einer Projektberatung für Bürgerenergie in Münster.

„Wir sind mit unserem Know-how Technologieführer für die Welt“, sagt Egbert Terholsen, NRW-Regionalleiter der Enercon GmbH, einem der Weltmarktführer im Windanlagenbau. „Aber das funktioniert nur, wenn wir einen starken, stabilen Heimatmarkt haben.“

Erschwert wird die Situation durch die Pläne der neuen Landesregierung, den Abstand von Windrädern zur Wohnbebauung auf 1500 Meter zu erhöhen, den Bau in Wäldern zu untersagen und die baurechtliche Privilegierung im Außenbereich aufzuheben. „Wir haben für die nächsten fünf Jahre noch 50 Projekte in der Planung“, sagt Geschäftsführer Thier. Das entspricht 150 Anlagen. Allein durch den größeren Abstand würde die Hälfte, also 75 bis 80 Anlagen, wegfallen. „Das ist ein Investitionsvolumen von 400 Millionen Euro.“ Dabei gebe es im Münsterland die von der Politik angeführten Akzeptanzprobleme gar nicht, weil die Anlagen durch die Bürger selbst betrieben würden.“

Priggen glaubt auch nicht, dass die 1500 Meter die eigentlich gewünschte Rechtssicherheit bieten werden. „Wir gehen davon aus, dass nach dem Bundesemissionsschutzgesetz 1000 bis 1100 Meter realistisch sind.“

NRW-Energieminister Andreas Pinkwart (FDP) hält dagegen, dass sich die derzeitige von den NRW-Windkraftanlagen erbrachte Jahresleistung von 5000 Megawatt durch bereits genehmigte Anlagen und Repowering (Ersatz alter Anlagen durch neue) innerhalb der nächsten Jahre ohnehin noch verdoppeln werde. Eine Prognose, die Priggen stark bezweifelt: „Wenn wir diese Steigerung hinkriegen würden, wäre ich glücklich. Aber die Realität ist eine ganz andere.“ Denn auch neue und größere Anlagen, die alte ersetzen sollen, müssen das komplette Ausschreibungsverfahren durchlaufen. Thier geht davon aus, dass etwa die Hälfte der Altgebiete aufgrund der neuen Abstandsregelung und des Artenschutzes nicht mehr bebaubar sein werden.

Priggen sieht auch keine Chance, dass NRW sein Bekenntnis zum Pariser Klimaschutzabkommen unter diesen Bedingungen einhalten kann. „Wir brauchen jetzt politische Unterstützung und Sensibilität.“ Bei ersten Gesprächen habe es schon entsprechende Resonanz gegeben. Weitere Termine bei den relevanten Ministern und Staatssekretären sind angefragt. Der über Parteigrenzen hinweg anerkannte Politprofi, erst vor einem Monat von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) mit dem NRW-Verdienstorden ausgezeichnet, setzt weiter auf politische Vernunft.