Prozess Reker-Attentäter ist „voll schuldfähig“
Nach der psychiatrischen Expertise rückt eine Verurteilung wegen versuchten Mordes an der Kölner Oberbürgermeisterin näher.
Düsseldorf. „Es gibt keine Hinweise auf eine verminderte oder aufgehobene Schuldfähigkeit.“ Als Professor Norbert Leygraf dieses Fazit im Prozess gegen den geständigen Attentäter von Henriette Reker zieht, hat er gerade eine Stunde lang im Oberlandesgericht Düsseldorf die Persönlichkeit von Frank S. (44) analysiert. Der renommierte Essener Psychiater beschreibt den redseligen, wegen Mordversuchs Angeklagten so, wie ihn auch die Zuschauer in dem seit April laufenden Verfahren erlebt haben.
Als einen Menschen, der eigensinnig und halsstarrig ist. Als einen, der in Schwarz-Weiß-Denken verhaftet ist. Im politischen Bereich kenne Frank S. nur die „mutig gegen den Strom schwimmenden Rechten einerseits und die Antifa und deren Gehilfen von der SPD, Grünen und anderen andererseits“. Frank S. habe vor der Tat jahrelang ein trostloses und perspektivloses Leben geführt. Er sehe sich als einen Menschen, der zu kurz gekommen ist, dies aber nicht dem eigenen Verhalten zuschreibt, sondern nach außen projiziert. Auf die Schuld anderer, speziell der Flüchtlinge. Und derjenigen, die sich für diese einsetzten, wie etwa das Tatopfer Henriette Reker, der der geständige Angeklagte kurz vor ihrer Wahl zur Kölner Oberbürgermeisterin ein Messer in den Hals gestoßen und sie lebensgefährlich verletzt hatte.
Leygraf, der den Angeklagten zweimal — im Februar und im März — in der Haftanstalt aufgesucht und ihn an den Verhandlungstagen beobachtet hatte, kann nachvollziehbar erklären, wie es zu dieser Persönlichkeitsentwicklung kam. Frank S., der als kleines Kind von seiner leiblichen Mutter in eine Pflegefamilie gegeben wurde, habe die Welt als bedrohlich, als feindselig erlebt. Er habe sich zum Einzelkämpfer mit „aggressivem und dissozialem Potenzial“ entwickelt. Es kam zu Vorstrafen wegen Körperverletzung. Immer wieder verlor er seine Arbeitsstellen als Maler. In den vier Jahren vor der Tat war er durchgehend arbeitslos, führte jahrelang ein zurückgezogenes Leben. „Seine Kontakte beschränkten sich auf das Internet, aber überwiegend rezeptiv“, sagt Leygraf. Das heißt, er hat sich sein Bild gemacht und das mit niemandem geteilt.
Trotz einer paranoid-narzisstischen Persönlichkeitsstörung gebe es für eine verminderte Schuldfähigkeit keine Hinweise, sagt Leygraf. Frank S. sei zwar impulsiv, es gebe aber keinen Hinweis auf ein wahnhaftes Erleben. Allein, dass er von seiner Sicht der Dinge besonders überzeugt sei, reiche nicht für ein „wahnhaft“. Er habe sich nicht etwa als „auserwählt gesehen, die Stadt Köln oder ganz Deutschland zu retten“. Seine Tat habe er eher wie als „heroischen Befreiungsschlag“ oder als „Fanal“ geplant.
Konzentriert und ohne Protest hört der Angeklagte den Ausführungen zu. Weder er noch sein Verteidiger stellen Rückfragen zu dem Gutachten, das die Schuldfähigkeit und damit eine lebenslange Freiheitsstrafe näher rücken lässt. Wohl aber will Richterin Barbara Havliza wissen, ob der Gutachter denn nach einer möglichen Verurteilung eine Therapie im Strafvollzug für denkbar hält. Da bedürfe es wohl vieler Einzelgespräche, antwortet Leygraf. „Mit einem Therapeuten, der das überbordende Selbstbewusstsein von S. aushalten müsste.“ Das sei ein Langzeitprojekt. „Wie lange“, will die Richterin wissen. „Mehrere Jahre“, ist die Antwort.
Das Prozessende ist nun absehbar. Bereits am Donnerstag soll die Anklage ihr Plädoyer halten.