Schwimmen lernen „Schule kann viel, aber nicht alles“
Jedes Kind soll am Ende der Grundschulzeit schwimmen können — soweit die Theorie, die Praxis sieht anders aus.
Düsseldorf. Sommerzeit — Badezeit — Unfallzeit. Immer wieder schrecken tragische Badeunfälle von Kindern die Öffentlichkeit auf. „Ertrinken ist bei Kindern eine der häufigsten Todesursachen“, weiß Michael Grohe, Pressesprecher der DLRG in NRW, und wirbt: „Schwimmen lernen rettet Leben“.
Viele Eltern überlassen diese Aufgabe gerne der Schule. „In der Regel werden die Dritt- und Viertklässler unterrichtet“, erklärt Barbara Löcherbach, Pressesprecherin des NRW-Schulministeriums: „Jedes Kind soll am Ende der Grundschulzeit schwimmen können.“ Heißt: Sich „möglichst angstfrei ohne fremde Hilfe in schwimmtiefem Wasser zielgerichtet fortbewegen“.
Soweit die Theorie. In der Praxis können etwa 25 bis 30 Prozent der Kinder nach der vierten Klasse nicht sicher schwimmen — wie die Universität Bielefeld in ihrem Forschungsprojekt „Motorische Basisqualifikation“ 2007 herausgefunden hat.
Warum? „Weil immer mehr Schwimmbäder geschlossen oder in Spaßbäder umgewandelt werden, die weder bei der Wassertiefe noch bei den Sprungmöglichkeiten den Erfordernissen der Schwimmausbildung genügen“, nennt Rettungsschwimmer Grohe den für ihn wichtigsten Grund.
Folgen: Weite Wege zu den Bädern und verkürzte Schwimmzeiten. „Oft müssen Kinder mit dem Bus zum Bad gefahren werden. Dort braucht es dann Zeit, bis die aufgekratzten Kinder erst mal unfallfrei durch die Umkleide geschleust sind und am Becken erscheinen.“ In der Pflicht sind hier die (chronisch klammen) Kommunen, verweist das Schulministerium auf § 79 des NRW-Schulgesetzes.
Das schreibt zwar keine eigenen Schwimmhallen vor, aber „die für einen ordnungsgemäßen Unterricht erforderlichen Schulanlagen, Gebäude, Einrichtungen und Lehrmittel“ müssten bereitgestellt werden. Dafür kämen auch Kooperationen mit anderen Kommunen in Frage, sagt Barbara Löcherbach.
Die Qualität des Schulunterrichts leidet - trotz umfangreichen Regelwerks - auch aus einem anderen Grund. „Schule kann viel, aber nicht alles“, kritisiert Sebastian Krebs, stellvertretender Landesvorsitzender der GEW in NRW, die „Komplettanforderungen“ mancher Eltern an Schule. Wenn Eltern ihre kleinen Kinder nicht schon früh ans Wasser gewöhnt haben, stehen diese als Grundschüler oft mit Vorbehalten am Becken. Je nachdem, wie viele absolute Nichtschwimmer in einer Lerngruppe sind, wirkt sich das auf Zahl und Belastung der Lehr- und Aufsichtskräfte aus.
Erfahrene Grundschullehrer verfügten noch über die, für den Unterricht erforderliche, Rettungsfähigkeit, der neue Erlass (siehe Kasten) aber fordere, dass diese nachgewiesen und alle vier Jahre erneuert werde, beklagt Krebs. 60 Euro kostet ein solcher Nachweis. Das sprenge das Weiterbildungsbudget der Schulen, so Krebs. Auch Grohes Urteil ist vernichtend: „Eine weitere Anforderung, die den Schwimmunterricht im schlimmsten Fall unterbindet.“
Und weiter. Derzeit, so Krebs, würden nur 19 Sportlehrer in NRW im Grundschulbereich ausgebildet, weil Sport nicht mehr Kern-, sondern nur noch Zusatzfach sein dürfe - bei 2827 öffentlichen Grundschulen mit 617310 Schülern. Das Schulministerium, hier in der Pflicht, sieht das anders, verweist auf das schulische Fortbildungsbudget und die kostenlosen, staatlichen Fortbildungsangebote. Außerdem sei der Erwerb der Rettungsfähigkeit nie Eigeninitiative gewesen, nun nur präzisiert und mit Übergangsfristen versehen worden.
Also in der Freizeit schwimmen lernen? Der Trend zur Ganztagsschule und zur Berufstätigkeit beider Elternteile kürzt auch hier das Zeitbudget. Zusammen mit den beschränkten Trainingszeiten in den Bädern kommen so schnell lange Wartelisten bei den Schwimmvereinen heraus, deren Angebot eh mangels Badezeiten begrenzt sind. Private Anbieter können hier eine Alternative sein, die aber ihren Preis hat. Grohe rät denn auch Eltern, sich über die Angebote im örtlichen Umkreis zu informieren. Löchermann: „Es ist Elternrecht,, über Erziehung und Bildung des Kindes zu bestimmen - das steht schon in der Landesverfassung.“
Bleibt noch die Landesinitiative „NRW kann schwimmen!“ Von 2009 bis bis 2014 wurden in 72 Städten