„Siko Ruhr“ Wie die neue Ermittlungsgruppe Clans in NRW auf den Leib rücken will
Essen · In Essen teilen sich ab 2020 Polizei, Zoll, Finanzverwaltung und Kommunen ein Büro. Die „Siko Ruhr“ ist deutschlandweit einmalig.
. Wände und Böden sind noch unverputzt, es gibt weder Steckdosen noch Lampen – in diesem Essener Rohbau soll Mitte des kommenden Jahres ein in Deutschland einzigartiges Projekt gegen Clankriminalität an den Start gehen. Bei der neu eingerichteten Sicherheitskooperation – kurz Siko – Ruhr teilen sich künftig Vertreter von Landes- und Bundespolizei, Zoll, Finanzverwaltung und den betroffenen Kommunen ein Büro und sollen so volle Schlagkraft gegen die rund 6500 Verbrecher aus arabisch-stämmigen Großfamilien entfalten.
Die Siko ist ein erstes konkretes Ergebnis der Ruhrkonferenz. „Hier treffen Kompetenz auf Wissen, Kenner der lokalen Szene auf kriminalistische Strategen“, erklärt NRW-Innenminister Herbert Reul am Dienstag vor Ort. „Wir rücken die Schreibtische zusammen und versuchen, von allen Seiten Ansätze zu finden, um den Clans das Geschäft madig zu machen.“ Er erneuerte für die Landesregierung das Versprechen an die Menschen im Ruhrgebiet: „Wir werden nicht nachlassen.“
Das erste Lagebild des Landeskriminalamtes zur Clankriminalität hatte zwischen 2016 und 2018 immerhin 14 225 Straftaten Kriminellen aus Großfamilien in NRW zugeordnet – diese konzentrieren sich speziell im Ruhrgebiet; Essen gilt neben Bremen und Berlin als deutscher Hotspot. Im Polizeipräsidium vor Ort hat man durch zahlreiche Razzien und Ermittlungen bereits viel Erfahrung mit der überbehördlichen Verzahnung. Und Erfolge. „Wenn man sich kennt, arbeiten man besser zusammen“, ist Behördenchef Frank Richter sicher. Die Siko Ruhr sei fast eine zwingende Idee. „Viele haben mich gefragt: Warum seid ihr nicht früher darauf gekommen? Ich weiß es nicht“, sagt der Polizeipräsident.
Siko tritt nicht in Konkurrenz zu örtlichen Zuständigkeiten
Die Arbeit der Siko soll von strategischer und wissenschaftlicher Grundlagenarbeit bis zur operativen Bearbeitung konkreter Fälle reichen, schildert ihr Leiter Joachim Eschemann: Die Beteiligten sollten den Zugang zu Forschungsergebnissen über Clans schaffen, sie sollten Konzepte aus anderen Bundesländern und dem Ausland bewerten und prüfen, was man in NRW übernehmen könnte; dieses Wissen solle über die Siko überdies in die Aus- und Fortbildung aller Fachkräfte, die mit Clans befasst sind, eingespeist werden – und einfließen in die Ermittlungsarbeit, etwa durch Fallkonferenzen zu Clanmitgliedern. Eschemann spricht von einer „Unterstützungsleistung“ für die Polizeibehörden und Ämter vor Ort: „Die Siko tritt nicht in Konkurrenz zu örtlichen Zuständigkeiten.“
Aussteigerprogrammen für Clanmitglieder fehlen
Innenminister Reul wünscht sich von der Siko allerdings auch endlich präventive Ansätze. „Das ist die schwierigste Angelegenheit“, weiß er inzwischen. Während das Land für Links- und Rechtsextremisten sowie Salafisten bewährte Aussteigerprogramme hat, fehlen Angebote für Clanmitglieder, die raus wollen aus dem kriminellen Sumpf, vollständig. Ansätze würden etwa in Essen über Sportvereine probiert, „aber den Durchbruch haben wir nicht“, gibt Reul zu. Ein Grund sei der in einer Familie sehr viel stärkere soziale Kitt als in einer kriminellen Szene. Es werde dauern, progostiziert Reul, bis ein Rückgang der Clan-Verbrecher statistisch messbar werde.
Immerhin: Sowohl Reul als auch Richter und Paul Bischof, der als Duisburger Beigeordneter zur Präsentation der Siko gekommen ist, geben an, aus der Bevölkerung zunehmend positive Rückmeldungen zu erhalten: Das Sicherheitsgefühl steige, die Belastung durch das Platzhirschgebaren der Clans sinke. Ein Indiz, das sich etwas bewegt, ist laut Polizeipräsident Richter die rückläufige Entwicklung der „Tumultdelikte“ – wir berichteten. Vor zwei Jahren noch hätte ein Polizeieinsatz in Essen selbst im Rahmen einer Verkehrskontrolle regelmäßig einen Massenauflauf von Clanmitgliedern ausgelöst. Das sei kaum noch der Fall.