Staat soll Gratis-Essen für arme Kinder zahlen
Die Wohlfahrtsverbände setzen Arbeitsminister Scholz unter Druck. Das Land NRW gibt einen Zuschuss.
Düsseldorf. Die Wohlfahrtsverbände erhöhen den Druck auf die Politik: Sie wollen Gratis-Essen für arme Kinder in den Schulen durchsetzen. "2,6 Millionen Kinder in Deutschland gelten als arm. Wir brauchen Soforthilfen", forderte Eberhard Jüttner, Chef der Paritätischen Wohlfahrtsverbände, gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Jüttner nimmt vor allem den neuen Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) ins Visier. Dessen Vorgänger Franz Müntefering (SPD) habe ein 150-Millionen-Euro-Programm für kostenlose Schulspeisung entwickelt. "Das darf doch nicht in der Schublade verschwinden, nur weil der Minister ausgeschieden ist", so Jüttner.
Nach Angabe der Wohlfahrtsverbände hat sich seit Einführung von Hartz IV die Kinderarmut verdoppelt. Jüttner forderte, die Zahlungen für Kinder unter 15 Jahren von 208 Euro im Monat auf 250 Euro zu erhöhen.
Das lehnte Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) ab. Sie verwies auf steigende Kinderzuschläge und auf die 180 Milliarden Euro, die der Staat jedes Jahr an Familienleistungen ausgebe. Man dürfe nicht immer "nur mehr Geld ins System stecken", sagte die CDU-Politikerin.
"Leerer Bauch lernt nicht gern" - hinter diesem scheinbar platten Motto verbirgt sich ein ernstes Problem. Denn in Nordrhein-Westfalen wird zwar mit Hochdruck die Ganztagsbetreuung ausgebaut. Aber die Verpflegung der Kinder hält mit der Ausweitung der Betreuung und des Unterrichts nicht Schritt. Eine eigene Mensa haben die wenigsten Schulen, Lehrer und Eltern improvisieren, häufig ersetzt ein Pizza-Taxi eine gekochte Mahlzeit. Darunter leiden vor allem arme Kinder: Ihre Eltern haben nicht das Geld, manchmal auch nicht die Kompetenz, ihre Kinder zu versorgen.
Ganztagsangebote gibt es flächendeckend im Grundschulbereich, zunehmend auch an Hauptschulen. Die schwarz-gelbe Landesregierung will so die weiterführende Schulform stärken, die am meisten unter Schülerschwund leidet. Vor allem in den Großstädten ist das Angebot gut nachgefragt. An den Gymnasien wiederum wird die Ganztagsschule durch die Hintertür eingeführt: Durch das neue Abitur nach zwölf Schuljahren sind 34 Schulwochenstunden die Regel, die Kinder kommen häufig erst am späteren Nachmittag nach Hause.
Wird ein Schulessen angeboten, ist der Preis bei rund 2,50 Euro pro Tag angesetzt. Für Kinder aus Hartz-IV-Familien ist das oft zuviel. Denn die Regelsätze sehen gerade einmal 98 Cent für das Mittagessen vor - eine von Beamten berechnete Summe. Tatsächlich kommen die Kinder oft mit leerem Geldbeutel und ohne Pausenbrot in die Schule.
Vielerorts engagieren sich Bürger, um die finanzielle Lücke zu schließen. Über Stiftungen oder Vereine werden Gelder gesammelt, um zumindest für arme Kinder das Mittagessen in der Schule kostenlos zu halten.
In NRW zahlt das Land einen Euro pro Mahlzeit bei Kindern aus armen Famlien, 50 Cent muss die Stadt aufbringen, einen weiteren Euro entweder die Eltern oder aber Vereine oder Sponsoren. Doch das System hakt noch an einigen Ecken. In Wuppertal zum Beispiel war bis kurz von Weihnachten noch nichts von dem Landesgeld angekommen. Zudem muss jeder Fall einzeln geprüft werden, bevor die Kostenverteilung geklärt ist.
Die Wohlfahrtsverbände sehen den Staat in der Pflicht, das Mittagessen bei bedürftigen Kindern komplett zu übernehmen. Dabei haben sie sowohl den Bund wie auch das Land, das eigentlich für die Bildungs zuständig ist, im Blick. Rund 800 000 Kinder wachsen in NRW in Armut auf. Das geht aus dem aktuellen Sozialbericht der schwarz-gelben Landesregierung hervor.
Die Sozial- und Wohlfahrtsverbände haben unlängst gefordert, nicht nur das Mittagessen kostenlos zu halten, sondern arme Familien auch von Kindergartengebühren und Beiträgen für Sportvereine zu befreien. Das würde rund eine Milliarde Euro im Jahr allein in NRW kosten, hat die Arbeiterwohlfahrt errechnet.
Die Debatte um das Schulmittag-essen kratzt nur an der Oberfläche. Es ist an der Zeit, dass Deutschland sein gesamtes Schulsystem auf den Ganztagsunterricht umstellt. Kinder aus Problemfamilien bekommen dann nicht nur ein Mittagessen, sondern erwerben am Nachmittag Teamfähigkeit und soziale Kompetenz. Und für qualifizierte Mütter stellt sich die Frage nach Job oder Kinderbetreuung gar nicht mehr. Warum traut sich keine Regierung, wenigstens dieses Ziel klar zu definieren?