Runder Tisch zum Thema G8/G9 Turbo-Abi: Neue Weichenstellung am Dienstag?
Schulministerin Löhrmann (Grüne) lädt zum Runden Tisch. Parteien stehen vor Wahl unter Druck.
Düsseldorf. „Wir Erwachsenen versündigen uns an euch.“ Der Satz von Carina Gödecke (SPD), Präsidentin des NRW-Landtags, gesprochen Anfang September vor Schülern, war so etwas wie ein Paukenschlag. Aufgesetzt auf eine von den Landespolitikern längst angestimmte Melodie: Weg vom Turbo-Abi, hin zu der Möglichkeit, das Abitur wieder erst nach neun Jahren zu machen.
Den Anstoß für eine Wende in der Debatte, die Dienstagachmittag am Runden Tisch noch an Schwung gewinnen wird, hatte im Juli die Landeselternschaft der Gymnasien gegeben. Eine Chronologie der Ereignisse und die Positionen der Beteiligten:
Im Juli fordert die Landeselternschaft der Gymnasien die Umstellung auf G9 an allen Gymnasien ab dem Schuljahr 2017/18. Die Gymnasien sollten ab diesem Zeitpunkt die Sekundarstufe I um ein Jahr verlängern können, wenn ein entsprechender Beschluss der Schulkonferenz gefasst wird. Garniert wird der Vorstoß mit dem Hinweis, dass die Landeselternschaft als Vertreterin von 800 000 Gymnasialeltern in NRW eine „auch in Wahlzeiten beachtenswerte Bevölkerungsgruppe“ repräsentiere.
Die FDP versteht den Wink als erste, macht eine parteiinterne Online-Befragung ihrer Mitglieder, die sich sodann mit 70 Prozent dafür aussprechen, über G8 oder G9 vor Ort entscheiden zu lassen. Zwar glaubt Parteichef Christian Lindner, dass bei einer solchen Wahlfreiheit die Mehrzahl der Gymnasien bei G8 bleiben wird, doch es spreche nichts gegen die Wahlfreiheit. „Darüber wird dann eben bei der Landtagswahl abgestimmt.“ Noch ist ein solches Konzept gar nicht offizielles Parteiprogramm der Liberalen, das Ganze muss noch von einem Parteitag im November beschlossen werden.
SPD-Chefin Hannelore Kraft findet es daraufhin im Gespräch mit unserer Zeitung „bemerkenswert, dass ausgerechnet die FDP eine Rolle rückwärts macht. Ich kann mich gut daran erinnern, wie massiv gerade die FDP damals G8 eingefordert hat.“ Auch zweifelt Kraft die Praktikabilität der Wahlfreiheit an. „Denn dann würden ja die Eltern der jetzigen Schüler für die der nächsten Generation entscheiden. Was aber, wenn diese Generation das dann wieder völlig anders bewertet?“
Doch auch die SPD will G8 nun umbauen. Schüler sollen auf Wunsch nach der zehnten Klasse ein Orientierungsjahr einlegen können, wenn sie ihr Abitur im G9-Modus machen wollen. Es soll also den Schülern eine Wahlmöglichkeit zwischen dem Abitur nach acht oder neun Jahren gegeben werden.
Die Piraten fordern eine flächendeckende Rückkehr zu G9 zum kommenden Schuljahr. Die G8-Ablehnung bei Eltern, Schülern und Lehrern sei eindeutig, die Politik müsse nun schnell reagieren.
Die CDU gibt sich mit Bewertungen vor dem Runden Tisch am Dienstag noch zurückhaltend. Eine komplette Rückkehr zu G8 lehnt Partei- und Fraktionschef Armin Laschet aber ab. Es könne Sinn machen, die Schulen vor Ort entscheiden zu lassen. Ein fertiges Konzept der CDU steht noch aus.
Wie ein solches nach Vorstellung der Grünen und deren Schulministerin aussehen soll, ist freilich auch noch nicht ganz klar. Eher unkonkret hatte sich Sylvia Löhrmann kürzlich für eine systemisch angelegte Flexibilisierung der Lernzeit ausgesprochen. Für eine flexible Länge der Schulzeit, die an die individuellen Voraussetzungen des Kindes angepasst sein soll.
Wenn man wie die FDP (und die CDU?) die Schulen entscheiden lassen wird, muss freilich noch geregelt werden, für welchen Zeitraum eine solche Festlegung einer Schule dann gelten soll. Bei den an der individuellen Schülerentscheidung orientierten Ansätzen von SPD und Grünen hingegen müssten andere Probleme gelöst werden: Wie praktikabel ist es im Schulalltag, wenn auf individuelle und schwer planbare Wünsche Rücksicht genommen werden muss?
Die am Runden Tisch beteiligten Interessengruppen werden Dienstag weiter Druck machen — nachdem sie die einst festen politischen Fronten geknackt haben. Die „Bürgerinitiative familiengerechte Bildung und Schule“ („G-IB-8“) will, dass die Gymnasien selbst entscheiden können, ob sie die gymnasiale Schulzeit in acht und/oder neun Jahren anbieten. Und die Elterninitiative „G9-Jetzt-NRW“ fordert, „dass Eltern und Kindern die Wahlfreiheit gegeben wird, an einem Gymnasium ihrer Nähe das Abitur nach Klasse 13 ohne Pflicht zum Nachmittagsunterricht zu erreichen“.