Wolfgang Bosbach: „Die Migranten müssen auch bereit sein, sich anzupassen“
Interview: Der Vize-Chef der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach (CDU), zieht nach dem Besuch Erdogans eine „eher“ positive Bilanz.
Düsseldorf. Herr Bosbach, der türkische Ministerpräsident Erdogan ist inzwischen wieder in seiner Heimat. Wie bewerten Sie seinen Besuch in Deutschland?
Bosbach: Eher positiv. Vor allem in Ludwigshafen hat Herr Erdogan deutlich gemacht, dass die Rettungskräfte vor Ort Lob und nicht Kritik verdienen. Dort hat er die richtigen Worte gefunden, um eine angeheizte Stimmung nicht weiter eskalieren zu lassen.
War der Vorschlag Erdogans, in Deutschland türkische Gymnasien und Universitäten zu betreiben, auch geeignet zu deeskalieren?
Bosbach: Hier muss man differenzieren. Wenn die Türkei ein einziges Gymnasium in Deutschland errichten möchte, so wie es seit 1868 ein deutsches Gymnasium in Istanbul gibt, dann wird man einer solchen Initiative nicht die Zustimmung verweigern können. Aber wenn Erdogan gemeint haben sollte, parallel zu unserem Schulsystem türkische allgemeinbildende Schulen und Hochschulen einzurichten, dann wäre das für die Integration eher schädlich und ist daher abzulehnen.
Sie sprechen von "Integration", Herr Erdogan hat vor "Assimilation" gewarnt. Dies sei "ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit".
Bosbach: Das sehe ich nicht so. Assimilation kann der Staat nicht erzwingen. Die ausländischen Mitbürger entscheiden ganz alleine darüber, in welchem Umfang sie sich mit ihrem neuen Heimatland identifizieren und hier integrieren. Assimilierung heißt, der Aufnahmegesellschaft ähnlich zu werden, sich vollständig anzupassen. Wenn sich jemand freiwillig darum bemüht - warum soll das ein Verbrechen sein?
Erdogan hat ja vor allem die Rolle desjenigen gespielt, der die Rechte der türkischen Minderheit in Deutschland schützen muss. Akzeptieren Sie das?
Bosbach: Erdogan hat in Köln eine türkische Wahlkampfveranstaltung absolviert. Dort hat er für sich und seine Partei geworben. Unabhängig von der Herkunft muss gelten: Für das Zusammenleben in Deutschland ist die deutsche Politik zuständig. Man sollte nicht versuchen, als türkische Regierung Innenpolitik in Deutschland zu betreiben.
Das sehen die bei uns lebenden Türken offenbar anders. Der Zulauf in Köln war beeindruckend. Dort sieht man Erdogan als zuständigen Regierungschef, nicht Bundeskanzlerin Merkel.
Bosbach: Bundeskanzlerin Angela Merkel trägt politische Verantwortung für alle, die hier leben. Auch für jene, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Außerdem: Anwesend waren neben türkischen Staatsbürgern auch solche mit deutscher Staatsangehörigkeit oder sogenannte Doppelstaatler.
Die meisten von ihnen singen die türkische Nationalhymne, sie schwenken türkische Fahnen.
Bosbach: Wir können Integration nicht verordnen. Wir können nur Angebote machen. Hinzukommen muss immer die Bereitschaft und die Fähigkeit zur Integration. Und da können Sie nicht knapp drei Millionen über einen Kamm scheren. Viele Türkischstämmige sehen Deutschland inzwischen als ihr Heimatland.
Viele Türken in Deutschland erleben sich als Ausländer zweiter Klasse. Sie beklagen, dass sich niemand über den Vorschlag aufregen würde, französische Schulen in Deutschland einzurichten. Gehe es um türkische Schulen, sei das Geschrei dagegen groß.
Bosbach: Das sehe ich anders. Die Gefahr, dass sich in Deutschland französische Parallelgesellschaften bilden, besteht nun wirklich nicht. Wenn ich Teil einer kleinen Minderheit bin, ist der Druck sehr groß, mich integrieren zu müssen, um am öffentlichen Leben überhaupt teilnehmen zu können. Lebe ich aber in einem Stadtviertel, in dem überwiegend Menschen ausländischer Herkunft leben, lässt der Integrationsdruck sofort nach. Das ist der Grund, warum wir alles unterlassen sollten, was der Verfestigung von Parallelgesellschaften dient. In einigen Stadtvierteln hat man gar nicht mehr das Gefühl, in Deutschland zu sein. Dort schaffen sich Migranten ein Abbild ihres Heimatlandes; das erschwert die Integration in die Aufnahmegesellschaft erheblich.
Erdogan hatte in Köln vorab Plakate in türkischer Sprache kleben lassen. Das hat vielen Kölnern nicht sehr gefallen.
Bosbach: Mir auch nicht. Man kann nicht einerseits die Landsleute auffordern, Deutsch zu lernen, und andererseits Plakate nur in türkischer Sprache kleben. Es wäre klüger gewesen, zweisprachig zu plakatieren. So hätte man auch in der deutschen Bevölkerung mehr Akzeptanz gehabt.
In Ludwigshafen wird weiter nach den Ursachen für die Brand-Katastrophe gesucht. Türkische Ermittler sind daran beteiligt. Hätten wir in einem umgekehrten Fall auch deutsche Ermittler in die Türkei entsenden dürfen?
Daten Wolfgang Bosbach wurde am 11. Juni 1952 in Bergisch Gladbach geboren. Er ist Rechtsanwalt, verheiratet und hat drei Töchter. Seit 2000 ist er stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Innenpolitik Bosbach gilt als einer der profiliertesten Innenpolitiker und als Konservativer, der immer dabei ist, wenn es um Kritik an der SPD geht. Kaum eine Talkshow kommt ohne ihn aus.