Leistungsschutzrecht Leistungsschutzrecht: EU nimmt Inhalte-Diebe ins Visier
Günther Oettinger bezieht derzeit Prügel für seine Pläne eines europäischen Copyright-Schutzes: „Halbherzig“, „Irrweg“, „Web-Verarmung“, lautet die Kritik. Dabei verteidigt der EU-Kommissar nicht weniger als die Pressefreiheit in Deutschland.
Berlin/Brüssel. Der Branchenverband „Bitkom“ vertritt rund 2400 Unternehmen der digitalen Wirtschaft. Das von Oettinger geplante Leistungsschutzrecht werde die Informationsvielfalt im Internet verringern, wenn „innovative Dienste und Start-ups für die Verbreitung von Online-Nachrichten durch hohe Lizenzkosten und rechtliche Unsicherheiten ausgebremst werden“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. „Aus Verbrauchersicht sind die Vorschläge der EU-Kommission eine große Enttäuschung“, sagt Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale-Bundesverbands. Und auf einer „Plattform für digitale Freiheitsrechte“ lässt einen Anwalt unken: „Die Pläne hätten Einschränkungen für kulturelle Freiheit und Vielfalt zur Folge — und Kosten für Verbraucher.“
Was in drei Teufels Namen plant der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft da schreckliches? Will die EU schon wieder etwas verbieten? Soll der freie Fluss der Information behindert werden? Nichts von alledem: Analog zum seit 2013 bestehenden deutschen „Leistungsschutzrecht“ für Presseverleger soll künftig in ganz Europa gelten, dass ausschließlich die Verleger über die Verwendung ihrer Erzeugnisse durch gewerbliche Anbieter entscheiden und dafür eine angemessene Vergütung verlangen können, wie dies (zumindest in Deutschland) die Musik- und Film-Industrie wie auch Rundfunkanstalten seit Jahrzehnten tun.
Das Leistungsschutzrecht regelt eine grundrechtliche Selbstverständlichkeit: Den Urhebern und Eigentümern soll das ausschließliche Recht zustehen, Presseerzeugnisse wie Artikel, Fotos, Töne und Videos zu gewerblichen Zwecken zugänglich zu machen — und nicht etwa den Betreibern von Suchmaschinen oder News-Aggregatoren. Das Leistungsschutzrecht regelt wie bei jedem anderen materiellen oder geistigem Eigentum, dass der Eigentümer für die Verwertung durch Dritte eine angemessene Vergütung verlangen darf, an der wiederum die eigentlichen Urheber — Journalisten, Fotografen, Grafiker etc. — angemessen beteiligt werden. Zugespitzt formuliert: Das Leistungsschutzrecht regelt, dass sich Journalisten und Publizisten nicht von Konzernen wie Google bestehlen lassen müssen, die mit der Nutzung fremden Eigentums ohne eigenes Zutun Milliarden-Gewinne machen.
Anders, als beispielsweise Ober-Verbraucherschützer Müller den Internetnutzern weismachen will, hat Günther Oettinger längst klargestellt, dass sich ein künftiges europäisches wie das bestehende deutsche Leistungsschutzrecht ausschließlich auf Anbieter bezieht, die von den Verlagen produzierte Zeitungsinhalte für kommerzielle Zwecke nutzen. „Private Nutzer können weiterhin Fotos und Links zu Zeitungsartikeln — inklusive kurzer Anreißer — auf ihrer Facebook-Seite oder bei Twitter veröffentlichen, ohne dafür zu zahlen“, so Oettinger gegenüber der FAZ.
Ob die Verlage von ihrem Recht Gebrauch machen und beispielsweise Google zur Kasse bitten (was ihnen bislang aufgrund der Marktmacht des Konzerns nicht gelingt), bleibt ihnen überlassen: Sie sind die Eigentümer, sie entscheiden. Eine Vielzahl von Kritikern (oder ihre Geldgeber) eint, dass ihre parasitären Geschäftsmodelle darauf beruhen, in ihren meist automatisierten Angeboten ohne eigene redaktionelle Leistung nahezu ausschließlich Nachrichten-Inhalte zu verwenden, die ihnen nicht gehören und für deren Verwertung sie weder die Eigentümer noch die Urheber bezahlen. Diese als „Gratis-Kultur“ verbrämte Unsitte ist nichts anderes, als das, was sie auch außerhalb des Internets wäre: gewerbsmäßiger Diebstahl.
Entsprechend forderte Mathias Döpfner, neuer Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger und Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, in dieser Woche beim Zeitungskongress in Berlin eine neue Medienpolitik in Europa. „Der Staat steht in der Pflicht, der alltäglichen Enteignung von Verlagen ein Ende zu setzen“, so Döpfner. Werde der Schutz von geistigem Eigentum — also der Artikel in den Zeitungen und Zeitschriften — nicht gesichert, „haben Verlage in der digitalen Zukunft keine Perspektive“.
Dem pflichtete Oettinger als Gastredner des Kongresses bei, hielt den Verlegern jedoch vor, in den Online-Redaktionen ihrer eigenen Häuser reagieren die Reaktionen auf seinen Vorstoß „relativ negativ“. Oettinger mahnte daher an: „Nicht Zensur ist gefragt, aber Überzeugung, Argumente. Wenn Sie nicht als Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen, als Verlegerinnen und Verleger in den nächsten Wochen kämpfen vor Ort, regional und lokal, dann haben Sie ein Zeitfenster für Ihre ökonomische und damit kulturell-demokratische Zukunft versäumt.“
Schon bei der Vorstellung des Oettinger-Entwurfs hatte Michael Hanfeld in der FAZ treffend bemerkt, am Schärfegrad der Reaktionen könne man jeweils ermessen, wer welche Interessen vertrete und etwas zu verlieren habe: „Netzkonzerne und ,Netzaktivisten' versus Urheber und Verlage. Dass die EU-Kommission den Letztgenannten zuneigt, zeigt, dass man in Brüssel verstanden hat, wer die Leistungsträger sind; wer für geistiges Eigentum und Wertschöpfung steht und wer davon ohne eigenes Zutun profitieren will."
Die Ablehnung des Leistungsschutzrechts durch Blogger, Netzaktivisten und digitale Start ups mutet zudem völlig unverständlich an, da es sich gerade für sie überhaupt erst dann lohnt, Inhalte und Ideen für neue journalistische Digital-Angebote zu entwickeln, wenn sie auch die wirtschaftliche Verwertung kontrollieren. Oder wie Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart zu dem Modell bei Twitter schrieb: „Freier Link ist Rückgrat des Internets? Mit dieser Haltung kann ein Journalist alles bestreiten, nur nicht den eigenen Lebensunterhalt.“ Nicht auf Größe kommt es im Digital-Zeitalter entscheidend an, sondern auf den rechtlichen Rahmen. Der muss möglich machen, dass es sich überhaupt lohnt, sich mit Leistung im Wettbewerb positionieren.
Für die Öffentlichkeit steht ohne europäischen Leistungsschutz dagegen die Grundlage der Pressefreiheit auf dem Spiel. Denn für diese garantieren nicht Konzerne wie Google oder Facebook, die nach Belieben willkürlich Benutzer sperren, Beiträge löschen und Fotos zensieren, und erst recht nicht staatliche Subventionen, die kein anderes Ziel haben können, als sich der Kontrolle durch eine freie Presse zu entziehen. Freie Meinungsbildung setzt eine unabhängige Presse voraus. Die demokratische Kontrolle von Politik und Wirtschaft kann nur funktionieren, wenn Zeitungen die Unabhängigkeit ihrer Redaktionen selbst finanzieren und niemand anderem als ihren Lesern verpflichtet sind. Oder wie Verleger-Präsident Döpfner es in seiner Antrittsrede formulierte: „Wir verkaufen Anzeigen und Abonnements, um es uns leisten zu können, durch kritische Recherche der Wahrheit näher zu kommen.“