In Wuppertal ist der Bundesfinanzminister „im Dialog“ mit rund 200 Bürgerinnen und Bürgern Lindner singt das liberale Lied
WUPPERTAL · Gut zwanzig Minuten müssen die Wuppertaler in der Elberfelder City Kirche an diesem Samstagnachmittag auf Christian Lindner warten. Dann geht die Musik an und auf die frisch-farbige Mini-Bühne, die die Öffentlichkeitsarbeiter des Bundesfinanzministeriums in diesem Sommer durch einige Städte chauffieren, schreitet schwungvoll der FDP-Politiker.
Gekommen, um zu erklären, was gerade Erklärung benötigt: die deutsche Regierungspolitik nämlich. Und weil Lindner live rhetorisch ja immer eine ziemlich sichere Bank ist, werden sie gedacht haben, schicken wir ihn mal vor Ort. Wahrscheinlich hält Lindner das auch selbst für notwendig.
Das Prinzip: Die Bürger teilen wahlweise Sorgen, Unverständnis oder Ärger mit, und Lindner antwortet, beruhigt oder erklärt. Er gehe, sagt der Mann aus Wermelskirchen, der in Wuppertal geboren wurde und dort noch reichlich Verwandtschaft zählt, in diesem Sommer zurück zu seinen „Chefinnen und Chefs, um zu hören, was ihnen wichtig ist“. Die Wähler eben.
Und das in unruhigen Zeiten: Lindner hat eine „kitzlige Stimmung“ in der Gesellschaft ausgemacht, mit „Verteilungsauseinandersetzungen“ und „einfachen Antworten“, die Konjunktur hätten. Und: Er sieht „in unserer Mediendemokratie“ nicht „die gesamte Vielfalt der Meinungen“ abgebildet. Da kann man ja mal aushelfen vor Ort, so sein Subtext.
Klar ist: Wer Lindner bestellt, bekommt Lindner. Das merkt man schnell, als die erste Fragerunde vor allem von Menschen dominiert wird, die gerne ihre Impfschäden aus der Coronapandemie rehabilitiert sähen und dem Finanzminister zu wenig Zahlungsbereitschaft für Medikamentenforschung attestieren. Lindners Tenor: Was es benötigt, steht zur Verfügung. Und im übrigen sei er als Finanzminister ja nicht der Chef aller Ressorts, sondern „der Vermögensverwalter“ der Bürger, als der er den Ressorts eine Obergrenze zuteile, um die mit dem Geld darunter frei arbeiten zu lassen.
Interessanter wird es bei den drängenden Fragen: Als einer besorgt nach dem Zustand der deutschen Wirtschaft fragt, hält Lindner die Bundesrepublik für ein „unverändert starkes Land mit Substanz“. Kein Grund zur Verzweiflung. Aber: „Wir haben erheblich an Wettbewerbsfähigkeit verloren.“ Ohne stabiles wirtschaftliches Fundament seien Hilfen für „soziale Zwecke und ökologische Träume unfinanzierbar“, singt er das liberale Lied. Sein einfacher Ratschlag: „Es muss sich lohnen, in Deutschland ein Geschäft zu machen.“ Dagegen allerdings stünden „zu viel Bürokratie, sehr hohe Belastungen bei Steuern und Abgaben, und auch das Fehlen von Fach- und Arbeitskräften“. Vieles davon gehe die Regierung an, in Sachen steuerliche Belastung und Sozialabgaben für Lindners Geschmack aber „noch nicht genug“.
Lindner wirbt für mehr Ausbildung statt immer mehr Studium („Mir ist ein Handwerksmeister lieber als ein schlecht gelaunter Professor“) und verspricht, dass „Berufsbilder erneuert“ würden und eine „Exzellenzinitiative“ für berufliche Bildung geschaffen werde. Auf die AfD angesprochen zeichnet Lindner das Bild einer Partei, die „großen Schaden“ anrichten werde, wenn sie denn zu Macht käme. Weil ihr das Klima egal sei und ein Nato-Austritt mit „einseitiger Beziehung zu Russland“ Deutschland isolieren würde. Zudem träfe ein EU-Austritt Deutschland deutlich heftiger als Großbritannien das per Brexit erlebt habe. Lindners Mittel gegen die AfD: Probleme ansprechen und politisch handeln – etwa bei der Zuwanderung: „Wir haben es denen zu lange schwer gemacht zu kommen, die wir brauchen. Und denen es zu lange zu leicht gemacht zu kommen, die nur in unserem Sozialsystem Karriere machen wollten.“
Lindner hält eine Steuerreform für notwendig, sieht aber auf Dauer „keine Mehrheit“ dafür. Er ist „gegen Substanzsteuern bei Erbschaften“, weil das vor allem „große Betriebe“ beträfe. Und er besteht – wenig überraschend – auf die Schuldenbremse. Keinesfalls aus einem „Fetisch“, sondern aus einer Notwendigkeit heraus: Immer mehr Staatsschulden würden die ohnehin hohe Inflation nur zusätzlich treiben.
Zwei Ankündigungen machte Lindner dann auch noch, an denen man ihn vermutlich wird messen können: In der Frage der Altschuldenlösung für Kommunen mit allzu hohen Kassenkrediten will er noch in diesem Jahr zu einem „Signal kommen, wie es weitergeht“ – was immer das heißen mag. Er sei „an dem Thema dran“, forderte aber als Voraussetzung eine 50:50-Lösung von Bund und Land. Und kritisierte klar: Der NRW-Vorschlag zur Altschuldenlösung sei ja nun eher einer, mit dem nicht das Land zur Tat schreite, sondern sich die Kommunen selbst helfen sollten. Und: Die Staatsschuldenquote, die derzeit bei etwa 66 Prozent liegt, werde noch in seiner Amtszeit auf unter 60 Prozent zurückgehen. „Ich gehe dafür allerdings von einer Wiederwahl aus“, rief Lindner lachend in die City Kirche. Die, die gekommen waren, werden ihm dabei vermutlich zu einem großen Teil helfen.
Dass das allerdings nicht ganz leicht werden könnte, mag dann doch an der schlechten Kommunikation in der Koalition liegen, die auch dem Bundesfinanzminister offenbar nachhaltig auf den Magen schlägt. „Die muss“, sagt Lindner „gelegentlich lästig für sie sein.“ Und er sagt: Der Meinungsbildungsprozess in der Koalition aus SPD, Grünen und FDP, „könnte geräuscharmer sein. Wir haben bei den weiteren Verfahren noch Anlass zur weiteren Vervollkommnung“, formuliert Lindner. „In der Sache aber sind die Ergebnisse nicht nur verantwortbar, sondern vorzeigbar.“ So könne er etwa dem Heizungsgesetz nun aus ganzem Herzen im Bundestag zustimmen. „Das ist jetzt ein gutes Gesetz.“