NSU-Prozess: Kein Platz für türkische Medien
Das Oberlandesgericht München will seine Regeln nicht ändern. Die Richter fürchten eine Revision wegen Formfehlern.
Düsseldorf. 50 Medien haben für den Prozess um die Anschläge der rechtsextremen Terrorgruppe NSU Plätze erhalten. Obwohl acht der zehn mutmaßlichen Opfer türkische Wurzeln haben, sind türkische Medien nicht dabei — weil die Medienplätze in dem am 17. April beginnenden Prozess vor dem Oberlandesgericht München nach dem Windhundprinzip vergeben wurden. Wer sich zuerst akkreditiert hatte, hat einen Platz sicher. Türkische Medien kamen nun mal zu spät.
Ob Anträge, vor dem Bundesverfassungsgericht per einstweiliger Anordnung noch einen Platz zu ergattern, Erfolg haben, ist zweifelhaft. Die Verfassungsrichter dürften Verständnis für das Windhundprinzip haben, schließlich wenden sie es selbst auch an. Anträge von Journalisten, bei den Karlsruher Verfahren dabei zu sein, „werden in der Reihenfolge des Eingangs berücksichtigt“, heißt es immer in Pressemitteilungen des Gerichts.
Zwar hat erst vor ein paar Tagen der frühere Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem dem Münchner Gerichtspräsidenten Karl Huber geraten, sich einen Ruck zu geben — und nachträglich noch türkische Medien zuzulassen. Doch solches Ansinnen prallt an dem Richter ab.
Dafür wird er vielfach kritisiert, doch es gibt auch Argumente für seine Standfestigkeit: Er will vermeiden, dass ein nach vielen Verhandlungstagen zustandegekommenes Urteil später wegen Formfehlers aufgehoben wird. Ein solcher Formfehler könnte darin liegen, dass die Regeln für die Zulassung nachträglich geändert wurden. Wenn schon nicht die Zulassungsregeln geändert werden — warum folgt das Gericht dann nicht dem Vorschlag, die Zahl der Zuhörerplätze zu erweitern? Der Prozess könnte in einen angrenzenden Saal übertragen werden, in dem dann auch türkische Medien Platz fänden. Hier fürchtet das Gericht, dass ein Urteil später wegen eines Verstoßes gegen § 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes (Infokasten) aufgehoben wird. Doch gilt dieses Kameraverbot auch für einen solchen Fall? Hier geht es schließlich nicht um eine TV-Übertragung.
Der Sinn der Vorschrift ist dieser: Kameras im Gerichtssaal können die Realität verändern. Nicht nur werden Verteidiger oder Staatsanwälte zu „Fensterreden“ verleitet, wenn sie wissen, dass die Verhandlung vor einem Millionenpublikum stattfindet. Auch Angeklagte und Zeugen werden — je nach Mentalität — eingeschüchtert oder überzogen selbstdarstellend aussagen.
Nun ließe sich argumentieren, dass die bloße Übertragung der Verhandlung in einen Nebenraum etwas ganz anderes ist als eine TV-Übertragung, wie wir sie aus den USA oder aus Norwegen (Breivik-Prozess) kennen. Die Bilder im Nebensaal wären damit nur eine mit technischen Mitteln bewirkte Erweiterung des Gerichtssaals. Das sieht Siegfried Kauder (CDU), Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag, anders: „Eine Videoübertragung in einen anderen Saal hätte ein bisschen was von Schauprozess und Public Viewing und wäre ein Verstoß gegen die Menschenwürde der Angeklagten“, sagte er.
Eben weil man in dieser Frage unterschiedlicher Meinung sein kann, ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass auch der Bundesgerichtshof in einem Revisionsurteil die Sache so sehen könnte wie Kauder. Wegen Formfehlers müsste dann das Verfahren neu aufgerollt werden.
Politiker können dem Richter nicht per Einzelanweisung eine andere Sichtweise diktieren. Das könnte allenfalls der Gesetzgeber, wenn er den § 169 Gerichtsverfassungsgesetz mit einer Klarstellung ergänzt. Darüber wird bereits nachgedacht. Doch für den NSU-Prozess kommt das zu spät.