Ohrfeige für das Verfassungsgericht

Straßburger Richter kritisieren Umgang der deutschen Justiz mit Gewaltverbrechern.

Straßburg. Die Ohrfeige des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs trifft gleich doppelt: den deutschen Gesetzgeber, weil er nach Ansicht der hohen Richter ein menschenrechtswidriges Gesetz erlassen hat. Und darüber hinaus auch das Bundesverfassungsgericht. Dieses hatte das Gesetz 2004 für unbedenklich erklärt. Es ging um den Fall der rückwirkenden Sicherungsverwahrung.

Der Straßburger Kläger war wegen schwerer Verbrechen vielfach vorbestraft und befand sich seit seinem 15. Lebensjahr nur wenige Monate in Freiheit. Zuletzt wurde er 1986 wegen versuchten Mordes und Raubes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Zugleich wurde im Strafurteil eine spätere Sicherungsverwahrung angeordnet. Weil früher hierfür die Zehn-Jahres-Höchstgrenze galt, hätte er ohne das Gesetz aus dem Jahr 1998 entlassen werden müssen.

Karlsruhe segnete das Gesetz ab, wonach das unbefristete Festhalten des Täters auch für Altfälle gelten darf. Der Staat müsse seine Bürger vor gefährlichen Straftätern schützen. Zentraler Einwand war jedoch schon damals: Die Anwendung des Gesetzes auch auf Altfälle verstoße gegen das Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes: Strafbar kann danach ein Verhalten nur dann sein, wenn die Strafbarkeit bereits beim Zeitpunkt der Tat feststand. Hier wurde die unbefristete Sicherungsverwahrung aber erst nach der Tat eingeführt. Karlsruhe ließ den Einwand nicht gelten: Sicherungsverwahrung sei ja keine Strafe (und nur für eine solche gelte das Rückwirkungsverbot), sondern eine vorbeugende Schutzmaßnahme.

Die Straßburger Richter sehen das anders: Sicherungsverwahrung sei in ihrer Wirkung kaum anders zu beurteilen als eine Haftstrafe. Und für eine Strafe gelte nun mal das Rückwirkungsverbot. Folge: Die nachträgliche Anwendung des Gesetzes auf Altfälle bleibt verboten.