Folge der Infektionsgefahr Ostergottesdienste – leer wie das Grab

Düsseldorf · Seuchen und Kriege haben regional immer mal für Absagen gesorgt. Aber ein flächendeckendes Verbot hat es in der Kirchengeschichte noch nicht gegeben.

In einer leeren Kirche wird ein katholischer Gottesdienst gefeiert, der auf der Videoplattform Youtube gestreamt wird. Aufgrund der Infektionsgefahr dürfen Gottesdienste und Messen derzeit nicht besucht werden. Die Online-Angebote der Gemeinden boomen.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Am Ostersonntag sollen in den evangelischen und katholischen Kirchen in NRW von 9.30 bis 9.45 Uhr die Glocken läuten. Dazu rufen die drei evangelischen Landeskirchen und die fünf katholischen Bistümer im Bundesland ihre Gemeinden auf. Das gemeinsame Zeichen am höchsten christlichen Fest sei umso wichtiger, als reguläre Gottesdienste aufgrund der Infektionsgefahr derzeit verboten sind. Die rund zwölf Millionen Christen in NRW sind auf alternative Formen der Gottesdienstteilnahme angewiesen: Fernseh- und Rundfunkübertragungen, Videos, Podcasts und Streaming-Angebote aus den eigenen Gemeinden. Für die Kirchen ist das eine historisch vollkommen neue Erfahrung. Denn flächendeckend hat es ein solches Verbot nach der übereinstimmenden Einschätzung von Kirchenhistorikern nicht nur an Ostern, sondern bisher überhaupt noch nicht gegeben.

Luthers Brief nach Breslau
zu Zeiten der Pest

„Danach will ich auch räuchern, die Luft reinigen helfen, Arznei geben und nehmen. Orte und Personen meiden, da man meiner nicht bedarf, auf dass ich mich selbst nicht verwahrlose und dazu durch mich vielleicht viele andere vergiften und anstecken und ihnen so durch meine Nachlässigkeit Ursache des Todes sein möchte.“ Das schreibt Martin Luther 1527 in einem Brief an den Reformator Johann Heß, der zu der Zeit im von der Pest heimgesuchten Breslau lebt. Aber Luther setzt seinen Brief „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ dann so fort: „Wo aber mein Nächster mein bedarf, will ich weder Orte noch Personen meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen, wie oben gesagt ist.“

Schon dieser kleine Briefausschnitt macht deutlich, wie ambivalent der Umgang der Christen und ihrer Kirche mit dem „Schwarzen Tod“ des Mittelalters war. „Dass Pest, die prominenteste europäische Pandemie im Mittelalter und bis ins 19. Jahrhundert, irgendwie ansteckend war, hat man schon früh gewusst (freilich nicht, wie das genau funktionierte) und Kranke isoliert“, so Hellmut Zschoch, Professor für Kirchengeschichte an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. Die Kranken hätten dann jeweils auch keinen Zugang zu Gottesdiensten gehabt. „Andererseits war man überzeugt, dass Seuchenzeiten zum Gebet rufen, hat also vielfach sicher erst recht Gottesdienste veranstaltet.“

Eine Einschätzung, die auch bei der Evangelischen Kirche im Rheinland (Ekir) bestätigt wird. „Allein schon das fehlende Wissen um die virologischen Zusammenhänge“ habe dazu geführt, dass es bei den wiederholten regionalen Pestausbrüchen keine organisierten Warnungen oder Absagen von Ostergottesdiensten seitens kirchlicher Behörden gegeben habe, sagt Stefan Flesch vom Ekir-Archiv.

Im Gegenteil war es eher selbstverständlich, dass sich Christen gerade in Epidemiezeiten versammelten: um göttliche Hilfe zu erbitten, um Sühne zu leisten und auch, um Trost zu suchen. „In vormodernen Gesellschaften haben religiöse Traditionen die gesamte Kultur überwölbt“, sagt Religionssoziologe Detlef Pollack von der Universität Münster.

Die Oberammergauer Passionsspiele beispielsweise wurden 1634 als Einlösung eines Versprechens nach der überstandenen Pest erstmals aufgeführt. Ironie der Geschichte: Die 42. Auflage der nur alle zehn Jahre vorgesehenen Passionsspiele muss sich in diesem Jahr ausgerechnet dem Coronavirus beugen. Die für Mai geplante Premiere wurde auf 2022 verschoben. Europaweit waren im Mittelalter Messen und Prozessionen zur Bekämpfung der Pest üblich – und trugen gerade so zu ihrer Verbreitung bei. Nur von  Venedig ist bekannt, dass man dort 1498 wegen der Pest alle Gottesdienste, Prozessionen, Märkte und Versammlungen untersagte.

Wissen um die Übertragungswege folgte Ende des 19. Jahrhunderts

Erst durch die Erkenntnisse von Robert Koch und Louis Pasteur Ende des 19. Jahrhunderts nahm das allgemeine Wissen um die Übertragungswege zu. Im Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen liegen Anordnungen der Berliner Regierung und des Mindener Landrats aus der Zeit der Maul- und Klauenseuche 1937/38 vor, wonach darauf hingewirkt werden sollte, „dass in den versuchten und seuchengefährdeten Gebieten besondere Bittgottesdienste, Wallfahrten und ähnliche Veranstaltungen, die geeignet sind, die Viehhalter zusammenzuführen, unterbleiben“ und „Leute von verseuchten Gehöften an den kirchlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen“.

Selbst die großen Kriege brachten das Gottesdienstleben nie vollständig zum Erliegen – weder der Dreißigjährige oder der Siebenjährige Krieg noch die beiden Weltkriege. „Noch im November 1944 wurden durch das Kölner Generalvikariat die Osterkommunionzettel für 1945 organisiert, das heißt die Pfarrer zur Bestellung beim Verlag Bachem aufgefordert, damit dieser die nötige Auflagenhöhe feststellen könne“, teilt Archivdirektor Ulrich Helbach vom Historischen Archiv des Erzbistums Köln mit.

Die Bischöfe überließen es in der Gottesdienstfrage offenbar weitgehend den Pfarrern zu entscheiden, was möglich war und was nicht. „Es gab sogenannte Kriegsfakultäten, sodass die Geistlichen auch außerhalb von Kirchen, etwa im Bunker, zelebrieren durften“, so Helbach. Nur bei Luftalarm waren Gottesdienste untersagt oder mussten abgebrochen werden. „Aber ein absolutes Verbot über Wochen hinweg, wie es derzeit bei uns der Fall ist, hat es bislang meines Erachtens nicht gegeben.“

„Medizinische Notwendigkeiten können in Widerspruch zu dem menschlichen Bedürfnis nach Trost und Zuspruch treten, wie es in der Religion seinen Ausdruck findet“, sagt Religionssoziologe Pollack. Doch die staatliche Anordnung des Gottesdienstverbots wird von den Kirchen weitgehend akzeptiert; der Protest ist vor allem konservativen Katholiken und evangelikalen Protestanten vorbehalten, die diese Intervention des Staates nicht akzeptieren wollen.

Wie sehr sich einzelne Pfarrer und Priester bei ihrem seelsorglichen Auftrag womöglich selbst in Gefahr bringen, ist dagegen eine individuelle Entscheidung. In Italien sind jedenfalls mittlerweile seit Ausbruch der Pandemie rund 70 Priester und mit Angelo Moreschi auch ein erster Bischof am Coronavirus gestorben.