Rebellen und Gaddafi-Kämpfer: Verwundete Gegner — im Leid vereint
Rebellen und Gaddafi-Kämpfer liegen im restlos überfüllten Krankenhaus der Küstenstadt Al-Sawija Seite an Seite.
Al-Sawija. Schrill tönt die Sirene der Ambulanz. Der Krankenwagen kommt von der Front in Tripolis und bringt einen verletzten Rebellen. Er ist bewusstlos und wird auf einer mit Blut durchtränkten Matratze aus dem Auto getragen. Seit Samstag sieht der libysche Arzt Nureddin Abu Chdeir jeden Tag Dutzende von Toten und Verletzten, die in seiner Klinik abgeladen werden. Die meisten von ihnen kommen aus den Reihen der Aufständischen, doch es sind auch einige schwer verletzte Mitglieder der Kampftruppen des verschwundenen Diktators Muammar al-Gaddafi darunter.
Einer von ihnen ist mit einer Handschelle an sein Metallbett gekettet. „Er hatte trotz seiner Verletzungen versucht zu fliehen“, erklärt der Arzt. Für einige der verletzten Rebellen ist es schwer zu ertragen, dass ihre Kriegsgegner jetzt neben ihnen liegen.
Vor allem ein am Bauch operierter kleiner Mann, von dem der Klinikdirektor sagt, er sei HIV-infiziert, zieht ihren Zorn auf sich. Sie sagen, der nur mit einem weißen Laken bedeckte Verletzte stamme entweder aus Mauretanien oder dem Sudan, er sei ein Söldner, der sich aus Gier den Gaddafi-Truppen angeschlossen habe. Der Patient bestreitet das: „Ich war nicht Soldat, und ich bin ein Libyer aus der Stadt Sebha.“
Tawfik Baschir ist verletzt worden, als die Aufständischen damit begannen, Gaddafis Residenz und die umliegenden Militäreinrichtungen im Bezirk Bab al-Asisija in Tripolis zu stürmen. Er wurde von zwei Schüssen getroffen, am Hals und am Bein. „Überall waren Scharfschützen“, röchelt der junge Mann, seine weichen Locken kleben an seinem bleichen Gesicht. „Doch ich würde es sofort wieder tun, denn nichts ist wichtiger als die Freiheit“, sagt er.
„Du bist ein großartiger Mann“, antwortet ein junger Mann aus Al-Sawija, der gekommen ist, um nach den Verletzten zu sehen. „Ich kämpfe auch, aber ohne Waffe“, erklärt der junge Mann in weißem Leinenhemd. In den vergangenen fünf Monaten, als die Gaddafi-Truppen seine Heimatstadt im eisernen Griff hielten, ließ er sein Auto stehen. Stattdessen fuhr er Fahrrad, weil sich die Straßensperren der Regimetruppen damit besser umfahren ließen. „Wir haben viel Geduld zeigen müssen“, sagt er, „es gibt keine Familie in Al-Sawija, die nicht einen Märtyrer zu beklagen hat oder ein Familienmitglied vermisst, das in Gefangenschaft geraten ist.“
Einige Kilometer weiter in Richtung Tripolis ist man unterdessen in Feierstimmung. Die Aufständischen sind, so sagen sie, in einen Bauernhof eingedrungen, der zu einer staatlichen Firma gehörte. Dort fanden sie unter anderem ein unbemanntes Aufklärungsflugzeug. Stolz schleppen sie die kleine weiße Drohne auf ihren neuen Stützpunkt. „Das Ding gehörte Gaddafi“, ruft einer von ihnen. Und dann bricht allgemeiner Jubel aus, Finger recken sich gegen die Decke, geformt zu Victory-Zeichen.