Kohls Kritik prallt an Merkel ab - Russland-Reise abgesagt
Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Kritik von Altkanzler Helmut Kohl am außenpolitischen Kurs ihrer Regierung zurückgewiesen. Auch die Vorwürfe von Bundespräsident Christian Wulff gegen Politiker und Währungshüter in der Euro-Krise will sie sich nicht zu eigen machen.
Derweil sagte sie am Donnerstag eine geplante Russland-Reise Anfang September ab, weil dann der Bundestag über die Schuldenkrise beraten will.
Zu Kohls Kritik sagte Merkel der „Süddeutschen Zeitung“ (Donnerstag): „Jede Zeit hat ihre spezifischen Herausforderungen“, und fügte hinzu: „Die christlich-liberale Bundesregierung arbeitet daran, die Herausforderungen unserer Zeit zusammen mit unseren Partnern in Europa und der Welt entschlossen zu meistern.“ Dennoch: „Die Verdienste Helmut Kohls als Kanzler der deutschen Einheit und der europäischen Einigung sind nicht hoch genug einzuschätzen“, sagte die CDU-Chefin weiter.
Ohne die Kanzlerin direkt zu nennen, hatte Kohl in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der Zeitschrift „Internationale Politik“ beklagt, der Regierung fehle der politische Kompass. „Deutschland ist schon seit einigen Jahren keine berechenbare Größe mehr - weder nach innen noch nach außen.“ Indirekt warf er Merkel auch vor, keinen Führungs- und Gestaltungswillen zu haben. Der 81-Jährige kritisierte neben der deutschen Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zum Libyen-Einsatz der Nato auch eine Verschlechterung in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Die Abschaffung der Wehrpflicht nannte er einen Fehler.
Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) sprang Merkel bei. „Es gibt keinen Weg zurück in eine angebliche Sicherheit von früher“, sagte de Maizière dem Berliner „Tagesspiegel“ (Freitag). Er nehme Ratschläge älterer Politiker ernst, aber man könne sie nicht Eins zu Eins in die Gegenwart übersetzen. „Wir leben im Jahr 2011, in einer hoch komplizierten, sehr schwierigen und unübersichtlichen Situation. Ich verstehe die Sehnsucht nach Sicherheit. Aber im Moment können wir sie nicht versprechen“, sagte der CDU-Politiker.
Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) stützt hingegen die Kritik seines Nachfolgers an der deutschen Außenpolitik . „Man muss sich auf die Deutschen verlassen können, da hat der Helmut Kohl vollständig recht“, sagte Schmidt in Frankfurt am Main. Schmidt kritisierte auch das Verhalten von Schwarz-Gelb in der Griechenlandkrise. „Deutschland hat den Eindruck gemacht, als ob es im Grunde den Griechen nicht helfen wolle. Das war nicht christlich und nicht europäisch.“
Für die SPD ist Kohls Kritik an der derzeitigen Außenpolitik berechtigt. „Sowohl das Abstimmungsverhalten im Falle Libyen als auch die frühzeitige Festlegung auf Ablehnung eines unabhängigen Palästinenserstaats zeigen, dass die Bundesregierung ohne Abstimmung mit ihren Partnern und ohne Rücksicht auf andere Außenpolitik macht“, sagte der Außenpolitiker Rolf Mützenich der Nachrichtenagentur dpa.
Nach Einschätzung der Grünen markiert Kohls Kritik den Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Merkels. Er spreche aus, „was wir immer kritisiert haben - dass sie durch ihr Zögern und Zaudern bei der Bewältigung der Eurokrise diese Krise verlängert“, sagte Fraktionschef Jürgen Trittin der dpa. „Dadurch dass er das ausspricht, wird es zu einer Kanzlerinnendämmerung.“
Mit Blick auf die Kritik von Bundespräsident Wulff an der Haltung der Europäischen Zentralbank (EZB) sagte Merkel: „Ich werde die EZB nicht kritisieren, weil sie ihre Entscheidungen unabhängig fällt“. Die Zentralbank habe alle ihre Entscheidungen über Ankäufe von Anleihen selbstständig getroffen, sagte sie dem Sender NDR Info. Wulff hatte kritisiert, dass die EZB zur Beruhigung der Märkte massiv Anleihen von Euro-Schuldenländern gekauft hatte.
Wegen der Bundestagsdebatte über den Euro-Rettungsschirm Anfang September hat Merkel eine geplante Russlandreise gestrichen. Als der Termin zugesagt worden sei, habe noch nicht bekannt sein können, dass am 8. September die deutschen Regeln zur Reform des Euro-Rettungsschirms in den Bundestag eingebracht würden, erläuterte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Die Bedeutung des Themas gebietet die Anwesenheit der Bundeskanzlerin.“
Genugtuung zumindest der sportlichen Art kommt für Merkel aus den USA. Das Magazin „Forbes“ kürte sie zur mächtigsten Frau der Welt. Die CDU-Vorsitzende verdrängte damit die US-amerikanische First Lady Michelle Obama vom ersten Platz unter den 100 einflussreichsten Frauen. Auf Platz zwei und drei liegen US-Außenministerin Hillary Clinton und Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. Merkel hatte bereits von 2006 bis 2009 den Spitzenplatz belegt.