Armenien-Resolution Regierung vollzieht Eiertanz um Armenien-Resolution
Eine Distanzierung, die keine sein soll - Ankara verlangte rechtliche Klarstellung von Berlin
Berlin. 50 Journalisten in der Bundespressekonferenz brauchten eine Dreiviertelstunde, ehe Regierungssprecher Steffen Seibert endlich einräumte: "Es ist deutlich geworden, dass eine rechtliche Klarstellung für die türkische Seite eine sehr wichtige Sache ist". Und so stellte er, wie zuvor am Freitagmorgen schon Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) klar, dass die Armenien-Resolution des Bundestags mit dem umstrittenen Begriff Völkermord "keine rechtliche Bindung" habe. Als Distanzierung aber wollten beide das nicht verstanden wissen.
Steinmeier wie auch Seibert behaupteten die fehlende Rechtsverbindlichkeit der Resolution, die zum Beispiel eine förmliche Strafverfolgung wegen Völkermordes oder des Leugnens eines Völkermordes nach sich ziehen könnte, nicht selbst. Beide zogen sich darauf zurück, dass der Bundestag auf seiner Homepage seine Resolutionen so einordne. Der Bundestag könne beschließen, was er wollte, erläuterte Seibert. Was juristisch passiere, sei Sache der Gerichte.
Etwas chaotisch verlief die Debatte dadurch, dass ein Online-Medium am Morgen "enthüllte", der Regierungssprecher werde sich auf Bitten Ankaras von der Resolution "distanzieren". Das hatte zu mächtigen Irritationen auch in der Regierung selbst geführt. So hatte Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) sogleich erklärt, auch wenn sie selbst nicht dem Bundestag angehöre, "stehe ich aber als Mitglied der Bundesregierung hinter diesem Beschluss". CDU-Generalsekretär Peter Tauber, sagte: "Die Resolution war und ist richtig." Die Irritationen gingen soweit, dass Angela Merkel in einem Telefonat mit Unionsfraktions-Chef Volker Kauder die erregten Gemüter beschwichtigen musste und laut Agenturberichten darauf hinwies, es handele sich um eine Klarstellung, keine Distanzierung. Sie selbst habe ja in der Fraktionssitzung für den Text gestimmt. Seibert ließ offen, ob er seine Klarstellung auch von sich aus vorgetragen hätte - oder ob erst die Medienberichterstattung ihn quasi im Wege einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung dazu brachte.
Die Bundestagsresolution zu den Massakern an den Armeniern vor 101 Jahren war von Ankara scharf abgelehnt worden und hatte das deutsch-türkische Verhältnis schwer belastet. Die Türkei gibt Armenien eine Mitschuld und lehnt den Begriff "Völkermord" massiv ab. Nach der Abstimmung untersagte sie Bundestagsabgeordneten, die Bundeswehrsoldaten in Incirlik zu besuchen, die dort zur Flugüberwachung im Kampf gegen den IS eingesetzt sind. Die SPD drohte daraufhin, einer Verlängerung des Einsatzes nicht mehr zuzustimmen.
Von der Opposition wurde der Vorgang mit zum Teil drastischen Worten kritisiert. Linken-Parteichef Bern Riexinger schrieb, die Bundesregierung verhöhne den Kampf für Menschenrechte und buckele vor dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. "Zum Kotzen", fügte er hinzu. Sein Vorgänger Klaus Ernst formulierte: "Nun kriechen wir dem Irren vom Bosporus endgültig in den Hintern". Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sprach von einem "würdelosen Kotau" und die Parteisprecherin der Grünen, Simone Peter, nannte den Vorgang "ein Armutszeugnis politischer Kultur und eine Ohrfeige für die Opfer".
Im deutsch-türkischen Verhältnis gibt es zurzeit zahlreiche schwierige Themen, von der inneren Repression bis zur Flüchtlingsproblematik. Steinmeier sagt, es sei Aufgabe der Außenpolitik, "Reibungsflächen, wo sie bestehen, zu vermindern, und gleichzeitig nach Möglichkeiten zu suchen, die Beziehungen zur Türkei mit einer Zukunftsperspektive zur versehen". Ob die jetzige Klarstellung die Beziehungen wieder flott macht, ist unklar. Mitglieder des Verteidigungsausschusses planen für Oktober einen neuen Reiseversuch.