Rückblick: Der „Kanzler der Einheit“
Wie kein zweiter Staatsmann hat Helmut Kohl das Gesicht unseres Kontinents am Ausgang des 20. Jahrhunderts geprägt.
Düsseldorf. Ganze 16 Jahre, von 1982 bis 1998, regierte Helmut Kohl als Kanzler Deutschland, deutlich länger als sein großes Vorbild Konrad Adenauer und auch länger als jeder andere deutsche Nachkriegskanzler.
Allein Bismarcks fast 20jährige Kanzlerschaft stellt das in den Schatten, und wie der "Eiserne Kanzler" für die Reichsgründung steht, so verbindet sich mit Kohl die europäische Einigung, die Wiedervereinigung und die Einführung des Euro. Als "Kanzler der Einheit" hat Kohl wie kaum ein zweiter das Gesicht unseres Kontinents an der Schwelle zum 21. Jahrhundert geprägt.
Der Platz in den Geschichtsbüchern ist Kohl also sicher. Im Urteil der Zeitgenossen und auch seiner Parteifreunde aber hat das Denkmal Kohl deutliche Kratzer. Seine Vorgänger Adenauer, Brandt oder Helmut Schmidt wurden verehrt, ja geradezu geliebt. Helmut Kohl fehlte stets diese Zuneigung. Seine Gegner verspotteten ihn als "Birne", seinen Parteifreunden galt er als der "Schwarze Riese", und da schwang eher Ehrfurcht denn Liebe mit.
Zu Beginn seiner Karriere schlug ihm teilweise sogar Verachtung entgegen. Der Stern schrieb von "zwei Zentnern nichts", die der Union verbundene FAZ attestierte ihm "Mangel an Intellekt, Mangel an Flair und Mangel an persönlichem Stil". Auch das ist eine Konstante im Politikerleben Kohls: Er wurde immer wieder unterschätzt.
In der Auseinandersetzung mit seinem sozialdemokratischen Vorgänger Schmidt erschien Kohl allzu oft als der beleidigte Provinzler. Auch der unionsinterne Konflikt mit seinem bayerischen Konterpart Franz Josef Strauß sah Kohl lange in der Defensive. Aber er hat alles und alle "ausgesessen" und am Ende triumphiert.
Die "Methode Kohl" also. "Staatskunst auf dem Biedermeiersofa" nennen die Kohl-Biographen Bickerich und Noack dieses Politikverständnis. Die Strickjacke als Markenzeichen, Politik als Geflecht persönlicher Beziehungen. Schon für seine Zeit als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz (1963 bis 1976) war dies charakteristisch. Und in Bonn, von wo aus Kohl stets regierte, blieb der Kanzler dieser Methode treu. Persönliche Gefolgschaften ersetzten oft politische Überzeugungen, und Kohl konnte ebenso schnell Loyalitäten aufkündigen.
Seine Karriere ist mit zerbrochenen Freundschaften gepflastert: Heiner Geißler, Weizsäcker, Biedenkopf und zuletzt Schäuble. Die von Kohl bei Amtsantritt beim konstruktivem Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt angekündigte "geistig-moralische Wende" blieb eine Floskel. Kohl blieb, was er schon zuvor war: ein Taktiker der Macht.
Und dennoch oder gerade deshalb war Kohl erfolgreich wie kein zweiter Kanzler dieser Republik. Er verlor als Kanzlerkandidat nur 1976 gegen Helmut Schmidt und 1998 gegen Gerhard Schröder. Dazwischen schlug er in Folge die SPD-Herausforderer Hans-Jochen Vogel (1983), Johannes Rau (1987), Oskar Lafontaine (1991) und Rudolf Scharping (1994).
Die lange so erfolgreiche Methode Kohl führte aber auch zum Absturz des Pfälzers nach Ende seiner Kanzlerschaft. Die schwarzen Kassen zur Belohnung von Günstlingen zwangen ihn zum Rückzug aus der Politik. Die "Ehrenwort-Affäre" machte Kohl zeitweise zur Unperson in seiner eigenen Partei. Er musste sogar den Ehrenvorsitz der CDU abgeben. Inzwischen scheint auch dies wieder Geschichte: Schon zu den Vereinigungsfeiern im vergangenen Jahr stand der Altkanzler wieder im Mittelpunkt.
Heute ist Kohl an den Rollstuhl gebunden und kaum noch in der Lage, die ihm gebührenden Ehren entgegenzunehmen. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung beschrieb kürzlich den Zustand des Altkanzlers als "feierliche Gebrechlichkeit". Am 3. April wird er 80 Jahre alt.