Schäfer: Steuersenkungen sind kontraproduktiv

Claus Schäfer von der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung sagt: Steuersenkungen sind unrealistisch. Der Staat muss investieren.

Herr Schäfer, hatten Sie beim Lesen der Wahlprogramme den Eindruck, dass die Parteien den Ernst der Lage erkannt haben?

Schäfer: Die Programme spiegeln nicht das Ausmaß der Krise wider. Es gibt nicht den ernsthaften Versuche, der Situation zu begegnen. Es unterbleibt sogar eine kritische Analyse der Lage.

Schäfer: Steuersenkungen in absehbarer Zeit wären mehr als kontraproduktiv. Es fehlte dem Staat Geld für wichtige Investitionen beispielsweise in die Infrastruktur, ohne dass die private Nachfrage entsprechend steigen würde. Wir haben auch in der Vergangenheit mit Steuersenkungen keine guten Erfahrungen gemacht. Sie haben jedenfalls den letzten konjunkturellen Aufschwung nicht ausgelöst; der kam vielmehr von der weltweiten Exportnachfrage. Sinnvoll wären allein punktuelle Entlastungen, beispielsweise eine Senkung der Mehrwertsteuer auf bestimmte Produkte. Das hätte aber mehr mit Gerechtigkeit zu tun und weniger mit der Ankurbelung der Konjunktur.

Schäfer: Die Besteuerung von Vermögen ist in Deutschland im internationalen Vergleich zu gering. Wir verzichten beispielsweise unnötigerweise auf eine Vermögenssteuer - sie allein könnte 20 Milliarden Euro mehr pro Jahr in den Haushalt spülen. Aber auch bei der Grund- und Erbschaftssteuer wäre eine Anhebung sinnvoll. Ich befürworte auch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes.

Schäfer: Wir leisten uns als einziges Land neben den USA ein duales System aus privater und gesetzlicher Krankenversicherung, das nicht nur ungerecht ist, sondern auch Geld kostet. Auf lange Sicht ist daher die Einführung einer Bürgerversicherung - wie von SPD und Grünen gefordert - der richtige Weg. Aber seine Umsetzung würde einige Zeit dauern. Kurzfristig würde helfen, wenn man zunächst die Beitragsbemessungsgrenze anheben würde - damit Menschen mit höherem Einkommen mehr in die gesetzliche Versicherung einzahlen.

Schäfer: Ein Mindestlohn bedeutet eine deutliche Steigerung der Kaufkraft von Millionen Beschäftigten. Zugleich schützt er aber auch die Existenz der Arbeitgeber, weil sie nicht mehr von Konkurrenten durch Lohndumping unterboten werden können. Der Mindestlohn schafft also auch gleiche Wettbewerbsbedingungen.

Schäfer: Zur Stärkung der Kaufkraft müssten ein Mindestlohn eingeführt und der Hartz-IV-Satz angehoben werden. Wir brauchen zweitens eine höhere Besteuerung von Vermögen, um stärker in Bildung und Infrastruktur investieren zu können. Und wir brauchen ein großangelegtes Programm zur Förderung von Arbeitsplätzen in der zukunftssicheren Umwelttechnik.