Stell dir vor, Europa wählt — und kaum einer geht hin

Experten fürchten, dass die Wahlbeteiligung sinkt. Davon könnten anti-europäische Parteien profitieren.

Düsseldorf. Das Europäische Parlament und überhaupt „die da in Brüssel“ sind für viele Wähler weit weg. Das zeigt sich an einer zunehmenden Wahlmüdigkeit. Gingen bei der ersten Wahl des Parlaments 1979 noch 63 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne, lag die Wahlbeteiligung bei der vergangenen Europawahl 2009 nur noch bei 43 Prozent (Deutschland 43,3 Prozent). Laut einem aktuellen Eurobarometer glauben aber 58 Prozent der Europäer nicht, dass ihre „Stimme in der EU zählt“. Und so fürchten Experten für die Wahl kommende Woche eine noch niedrigere Wahlbeteiligung.

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Das könnte nicht nur der Daseinsberechtigung, der demokratische Legitimation der Abgeordneten schaden, sondern auch dazu führen, dass mehr anti-europäische Parteien den Einzug ins Parlament schaffen.

Obwohl bei niedriger Wahlbeteiligung generell viele Stammwähler den Gang ins Wahllokal auf sich nehmen — Sozialdemokraten und Europäische Volksparteien werden wohl auf 60 Prozent der Stimmen kommen —, sind Europawahlen traditionell auch Protestwahlen. Wer mit der nationalen Politik nicht zufrieden ist, will den etablierten Parteien einen „Denkzettel“ verpassen. Experten fürchten daher, dass rechte Parteien bis zu 30 Prozent der Sitze erobern.

„Wir haben ein größeres Phänomen als die Gefahr von rechts“, sagt der Politik-Analyst Janis Emmanouilidis, Direktor des „European Policy Centre“ in Brüssel. Er sieht vielmehr die Tendenz, dass in Zeiten von Schuldenkrise und Unzufriedenheit mit der EU bei der Wahl insgesamt anti-europäische Parteien punkten werden — auch aus dem linken Spektrum. In Italien etwa sehen aktuelle Umfragen Beppe Grillos „Fünf-Sterne-Bewegung“ an zweiter Stelle.

In Deutschland ist die Stimmungslage kaum verändert zur Bundestagswahl. Nur die Alternative für Deutschland (AfD) als euro-skeptische Partei steht mit sechs Prozent in den Umfragen gut da. In den Niederlanden allerdings konnte die „Partei für die Freiheit“ des Rechtspopulisten Geert Wilders nach jüngsten Umfragen 18 Prozent der Stimmen erhalten — und wäre stärkste Kraft. Marine Le Pen und der rechte „Front National“ liegen in Frankreich Kopf an Kopf mit der konservativen UMP. Die beiden arbeiten im Wahlkampf zusammen und wollen eine eigene Fraktion im Europäischen Parlament gründen. Zurzeit sind die Abgeordneten in keiner Fraktion.

Tatsächlich sind die unter „Sonstige“ zusammengefassten Parteien die größe Unbekannte bei der Wahlprognose. Waren es 2009 noch 3,6 Prozent der Abgeordneten, die nicht in einer der Fraktionen waren, könnten es laut Umfrage nun mehr als 15 Prozent sein. Alles deutet darauf hin, dass darunter eine Vielzahl der Stimmen für anti-europäische Kräfte sein werden.