Vor dem Urteil zur Suizid-Beihilfe am Mittwoch Sterbehilfe: Hoffen auf die Entscheidung in Karlsruhe

Der Bundestag verbot 2015 die geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung. Ob es bei dem umstrittenen Gesetz bleibt, entscheidet nun das Verfassungsgericht.

Hilfe in der letzten Stunde: Der Sterbehilfe-Paragraf § 217 Strafgesetzbuch steht auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts.

Foto: Oliver Berg

Es ist fünf Jahre her, da verschloss der Bundestag einen Notausgang. Mit seinem Gesetz zum Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid stellte er sich gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Gegen Menschen, die in Umfragen regelmäßig noch viel mehr verlangen als bloß die „Erlaubnis“, dass ihnen jemand bei der Selbsttötung hilft. Noch im Juli 2019 sprachen sich 67 Prozent in einer repräsentativen Umfrage von Yougov sogar für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe aus, das heißt für eine aktive Tötung auf Wunsch des Sterbewilligen.

Nun hoffen viele darauf, dass das Bundesverfassungsgericht den verschlossenen Notausgang wieder öffnet. In der für den kommenden Mittwoch angekündigten Entscheidung geht es nicht um die aktive Sterbehilfe. Sondern um den Wunsch von Sterbewilligen, zwar von eigener Hand zu sterben, dabei aber nicht ganz auf sich allein gestellt zu sein. Den Wunsch, in einer Lage, die man für sich als aussichtslos sieht, jedenfalls professionelle Hilfe in Anspruch nehmen zu können, insbesondere tödlich wirkende Medikamente zu bekommen.

 Ausgangspunkt der rechtlich-ethischen Diskussion ist die Selbstverständlichkeit, dass es jedermann freisteht, aus dem Leben zu scheiden. Weil der Suizid als solcher nicht strafbar ist, gilt das auch für die Beihilfe dazu. Mit dem 2015 vom Bundestag beschlossenen neuen § 217 wurde zwar keinem Angehörigen verboten, im Einzelfall einem Sterbewilligen beizustehen. Wohl aber wurde ein entsprechendes Verhalten mit Strafe bedroht, wenn es „geschäftsmäßig“ passiert (siehe Infokasten).

Gesetzgeber befürchtete Druck auf Alte und Kranke

Dass es zu der Gesetzesverschärfung kam, wurde unter anderem so begründet: Weil die Menschen denken könnten, im Alter oder bei schwerer Krankheit eine Last zu sein, würden Angebote der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid auch durch Ärzte einen Erwartungsdruck erzeugen, diese Angebote wahrzunehmen.

Der frühere Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery, ein Befürworter der Strafverschärfung, sagte in einem Streitgespräch in der aktuellen „Zeit“: „Ich werde doch als Arzt nicht tatenlos zusehen, wie einer Tabletten schluckt, die ihn umbringen...Die meisten sterbewilligen Patienten vergessen ihren Todeswunsch nach 24 Stunden, wenn man ihnen ein vernünftiges palliativmedizinisches Angebot macht.“ Freilich wäre kein Arzt gezwungen, Sterbehilfe zu leisten. Wie auch bei Abtreibungen gibt es dazu keine Verpflichtung.

In der Diskussion werden immer wieder geschichtliche Erfahrungen beschworen – die als Euthanasie bemäntelten Nazi-Morde. Das ist jedoch ein schiefes Argument. Denn damals wurden Menschen ermordet, sie starben fremdbestimmt. Diese Verbrechen können nicht dafür herhalten, dass Menschen heute nicht selbstbestimmt sterben dürfen. In Zeiten einer Medizin, die statt sinnvoller Lebensverlängerung oft nur eine Sterbeverzögerung bringt.

Laien dürfen helfen,
medizinische Experten nicht

Mit dem Gesetz sollten vor allem Aktivitäten von Sterbehilfe-Organisationen getroffen werden. Doch die Auswirkungen reichen weiter. So argumentiert Palliativmediziner Michael de Ridder, einer der Kläger in Karlsruhe: Über jedem Arzt, der erwägt, einem Patienten Suizidhilfe zu leisten, hängt ein Damoklesschwert. Die Reichweite des Gesetzes betreffe dabei nicht nur Ärzte, sondern beispielsweise auch ein Hospiz, das einen aussichtslos Kranken mit dem vorsätzlich gefassten Entschluss aufnimmt, sein Leben gezielt durch Sterbefasten zu beenden.

Thomas Fischer, früherer Richter am Bundesgerichtshof, beschrieb das durch den § 217 StGB ausgelöste Dilemma in der „Zeit“ so: „Angeblich sollte mit der Regelung das Treiben von gewinnorientierten „Sterbehilfe-Vereinen“ unterbunden werden.“ Getroffen (und gemeint) habe man in Wahrheit alle Ärzte sowie die Mitglieder von ehrenamtlichen Sterbehilfeorganisationen und -beratungen. Denn sie alle handelten regelmäßig „geschäftsmäßig“, das heißt im Rahmen einer dauerhaften, wiederholten (Berufs-)Tätigkeit. Wenn Ärzte aber nicht mehr behilflich sein dürften, so habe das eine Konsequenz, die Fischer so auf den Punkt bringt: „Wie soll ein normaler Bürger, um seinem Angehörigen bei dessen Selbsttötung zu helfen, ohne professionelle Hilfe an wirksame, menschenwürdige Mittel kommen?“

Dass die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe steht, führt dazu, dass es zwar Laien erlaubt ist, Sterbewilligen helfend beizustehen, nicht aber medizinischen Experten. Michael Schmidt-Salomon, Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung dachte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht im April vergangenen Jahres die seltsame Logik des Gesetzes weiter:

Man stelle sich vor, so argumentierte er, dass § 218 abtreibungswillige Frauen zwingen würde, die Abtreibung entweder alleine vorzunehmen oder dabei auf die Hilfe von Personen zurückzugreifen, die auf diesem Gebiet nicht geschäftsmäßig, also nicht professionell handeln, weil sie keine Ärzte sind. Schmidt-Salomon: „Normalerweise verlangen wir in Situationen, in denen es um Leben und Tod geht, die Anwesenheit von Experten, die genau wissen, was sie tun, und die Kriterien ihrer Entscheidungen in einer nachvollziehbaren Weise offenlegen. Nur bei der Suizidassistenz sollen ausgerechnet Laien ohne Fachwissen und ohne Transparenzkriterien tun dürfen, was Experten verboten ist.“

Nun blicken alle diejenigen, die 2015 entsetzt über die Entscheidung des Bundestags waren, auf die am Mittwoch anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Sie hoffen, dass die Konsequenzen dessen, was damals beschlossen wurde, rückgängig gemacht werden: dass nämlich einem zum Tode Entschlossenen nur noch wenige Auswege verbleiben, weil er auf ärztliche Hilfe nicht mehr zählen kann.

Wer es sich leisten kann,
fährt in die Schweiz

Derzeit ist es doch so: Wer sich die alles in allem knapp 10 000 Euro leisten kann, reist in die Schweiz zu einem Sterbehilfeverein und nimmt einsam, fern der Heimat und in anonymer Umgebung den Todestrunk zu sich. Und wer kein Geld hat, der muss eine der grausamen Methoden wählen, mit denen sich in Deutschland jährlich 10 000 Menschen töten – die sich vor den Zug werfen, vom Hochhaus stürzen, zum Strick greifen...