Trauer, Zorn und 150 Wunder
Die Helfer geben die Hoffnung nicht auf, noch weitere Verschüttete aus den Trümmern bergen zu können.
L’Aquila. Verzweifelt graben Tausende von Helfern in den Trümmerbergen von L’Aquila und Umgebung nach Verschütteten. Und mit jeder Stunde verringern sich die Chancen, in der vom Erdbeben weithin verwüsteten Stadtlandschaft noch Menschen lebend aus dem Schutt ziehen zu können.
Wieder und wieder bebt der Boden in den bergigen Abruzzen, starke Stöße lassen Mauerwerk bereits beschädigter Häuser niederprasseln, versetzen die Menschen von neuem in Entsetzen und Panik.
Seit dem Erdstoß am Montag hat es fast 300Nachbeben bis zur Stärke von 4,8 gegeben. Jedes gerettete Leben ist in dieser Situation wie ein Wunder. 150 solcher Wunder hat es schon gegeben, 150 Menschen haben die mehr als 7.000 Helfer lebend aus den Trümmern gerettet.
Im verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit sind diese Glücksmomente pure Motivation für die unermüdlich arbeitenden Retter. Am Dienstagmorgen etwa bargen sie 30 Stunden nach dem Beben wohlbehalten die 98-jährige Maria D’Antuono.
"Ich wusste, dass jemand kommen würde. Ich habe in der Zwischenzeit gehäkelt" sagte die alte Dame nach ihrer Rettung. 24 Stunden im Schutt überlebt hatte auch eine 24-jährige Studentin.
In Onna, einem idyllischen Bergdorf nahe L’Aquila, gibt es solche Glücksmomente für die Retter nicht. Nur ein Schutthaufen ist von dem Örtchen übrig, kein einziges Haus ist heil geblieben, die Straßen sind voll mit Ziegelsteinen und Betonbrocken. 40 der rund 300 Dorfbewohner starben unter den Trümmern, etwa jeder siebte.
"Meine ganze Familie lebt noch, meine Freunde auch", tröstet sich Silvana: "Aber so viele Tote, so viele Tote in unserem schwer heimgesuchten Dorf." Ihr Mann habe den Rettungskräften geholfen und mit bloßen Händen Tote ausgegraben, sagt Silvana weinend: "Es ist ein Albtraum, und dabei scheint die Sonne, als ob nichts wäre."
Ein alter Mann mit Gipsarm und großem Pflaster im blutverkrusteten Gesicht nähert sich den Absperrungen am Dorfrand. "Wo ist Berlusconi?", schreit er voller Wut auf den Ministerpräsidenten.
"Das ist alles seine Schuld, warum hat er das verdammte Gesetz gegen baufällige Gebäude nicht durchgesetzt!", ärgert er sich und fuchtelt mit den Armen: "Alle Häuser hier sind alt, da ist nichts zu machen, natürlich haben sie nicht standgehalten!"
Er habe tausende von Euro in die Renovierung seines Hauses gesteckt - "alles vergebens, hier ist alles im Eimer!" ruft der Mann, bevor er in Richtung der Zelte zurückhumpelt.
Silvio Berlusconi reiste am zweiten Tag hintereinander in die Abruzzen-Hauptstadt, um einen raschen Wiederaufbau zuzusagen. Italien könne das Notwendige allein leisten, sagte er und lehnte die Hilfe anderer Staaten dankend ab.