Pfusch am Bau: Eine Million Häuser sind einsturzgefährdet
In den Abruzzen ist nicht erdbebensicher gebaut worden. Am Material wurde gespart, viele Gebäude haben keine Stahlträger.
L’Aquila. Architekten und Bauwissenschaftler erheben angesichts der verheerenden Katastrophe in den Abruzzen schwere Vorwürfe: Viele Menschen hätten nicht sterben müssen, wenn in der Region erdbebensicher gebaut worden wäre. In den Abruzzen hatte es immer wieder starke Erdbeben gegeben.
Wie "Spiegel online" berichtet, wurde L’Aquila im Jahr 1703 weitgehend zerstört, 1915 gab es bei einem Beben in der Region 30.000 Todesopfer. Zuletzt wurden L’Aquila und benachbarte Provinzen am 11. Mai 1984 von einem Erdbeben der Stärke 5,2 heimgesucht. Drei Menschen kamen damals ums Leben, 27.000 wurden obdachlos.
Aus den Katastrophen der Vergangenheit hat die Stadt, so die Kritiker, keine ausreichenden Lehren gezogen. Denn nach Angaben des Bürgermeisters von L’Aquila, Massimo Cialente, sind beim jüngsten Beben vor allem moderne Wohnblocks zerstört worden. Das bestätigen auch viele Medien. Danach habe es sich bei den zerstörten Häusern um neuere Gebäude aus den siebziger und achtziger Jahren gehandelt.
Diese seien in Zeiten des Baubooms entstanden und würden nicht einmal den elementarsten statischen Anforderungen genügen. Mehrstöckige Gebäude seien zum Teil ohne Stahlträgerverstärkung oder nur mit solchen aus minderwertigem Material errichtet worden, berichtet "Spiegel Online". Gleiches gelte für den Mörtel, dem oft eine viel zu große Menge Sand beigemischt worden sei.
Millionen Häuser sollen auf der Apennin-Halbinsel "potenziell einsturzgefährdet" sein, schätzen Geologen. "Ein solches Erdbeben hätte in Kalifornien nicht ein einziges Menschenleben gekostet", sagt Franco Barberi, Chef der italienischen nationalen Katastrophen-Kommission. Beim Häuserbau werde schlecht gearbeitet und "gepfuscht".
Michele Calvi, Bauwissenschaftler an der Universität Parma, spricht im "Corriere della Sera" von einem Skandal. In dem besonders erdbebengefährdeten Gebiet Mittelitaliens müssten nun bis zu 80.000 Gebäude, darunter 22.000 Schulgebäude, durch zusätzliche Baumaßnahmen gesichert werden - sonst gebe es bei ähnlichen Beben "auch weiterhin viele Tote zu beklagen".