Spezieller Ratgeber Über den Alltag im Gefängnis: Darum ist der „Knast-Guide“ lesenswert
Düsseldorf · Zwei Strafverteidiger haben einen Ratgeber geschrieben – der „Knast-Guide“ gibt Einblicke in Regeln und Geschehen hinter den hohen Mauern.
Uli Hoeneß, der frühere Präsident des FC Bayern, hat kürzlich im Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ eine bemerkenswerte Geschichte über seine Haft erzählt. Wegen Steuerhinterziehung hatte er zwischen 2014 und 2016 eingesessen. Sonntags sei er immer in die Kirche auf dem Gefängnisgelände gegangen. Einmal habe vor ihm ein Gefangener mit einem weißen Overall gesessen, zwei Beamte zu seiner Bewachung links und rechts neben ihm. Das sei „der Capo von den Russen“, habe ihm ein Mithäftling gesagt. Er, Hoeneß, habe wahrgenommen, dass die Bewacher dem Mann nicht erlaubten, nach vorn zur Kommunion zu gehen. Da habe er die ihm vom Priester gegebene Hostie in der Hand behalten, und beim Zurückgehen eine Hälfte dem Russen gegeben. Am nächsten Tag sei ihm eine Nachricht überbracht worden. „Einen schönen Gruß von den Russen: Ab sofort bist du hier geschützt.“
„Wir würden es keine
24 Stunden hier aushalten“
Hackordnung, Hierarchien, Abhängigkeiten – wie das Leben in Haft wirklich ist, das wissen die Häftlinge und ihre Angehörigen. Auch die Strafverteidiger bekommen so einiges mit. So wie Ingo Lenßen und Robert Scheel. In einem Vorwort zu ihrem gerade erschienenen Buch „Der Knast-Guide“ schreiben sie: „Wir würden es keine 24 Stunden hier aushalten!“
Die beiden Juristen woll Menschen, die vielleicht demnächst eine Haft antreten müssen und ihren Angehörigen einen Einblick in die Regeln des neuen Lebensabschnitts geben. Aber auch Otto Normalbürger, der eine Haftanstalt nur von außen oder aus dem Fernsehen kennt, zeigen sie eindrucksvoll, was hinter den hohen Mauern passiert. Und so haben sie einen lesenswerten „Ratgeber“ über den Alltag in Haft geschrieben. Ein Alltag, darauf weisen sie hin, in dem die Häftlinge auf viel mehr als „nur“ die Freiheit verzichten müssen.
Schon früher hat der Kriminologe Frank Neubacher den Autonomieverlust, mit dem jeder Häftling zurechtkommen muss, eindrucksvoll beschrieben. Für den Gefangenen sei alles reglementiert: sein Tagesablauf, sein Aufenthaltsort, die Zelleneinrichtung, Ernährung und der Kontakt mit der Außenwelt. Bei der Aufnahme in die Anstalt werde dem Gefangenen zunächst das, was für ihn maßgeblich seine Identität ausmacht, abgenommen. Er muss die mitgebrachten Sachen abgeben, werde durchsucht, gegebenenfalls sogar entkleidet und erkennungsdienstlich bearbeitet, und mit Anstaltskleidung ausgestattet. Am Ende dieser Prozedur sei der Statuswechsel vom Bürger zum Strafgefangenen vollzogen. „Gegendefinitionen“, etwa im Sinne eines „Ich bin nicht kriminell“ oder „Ich bin eigentlich anders“, sind nun kaum noch durchzusetzen. Neubacher: „Von einer auf die andere Stunde unterliegt der Gefangene einem Reglement, das seine Bewegungsfreiheit einschränkt, ihn von der gewohnten Selbstfürsorge freistellt, von den Angehörigen trennt, heterosexuelle Kontakte abbricht, sensorische Reize vorenthält und zu einem dramatischen Verlust an Sicherheit führt. Von den Bediensteten der Anstalt kann er nun jederzeit kontrolliert und korrigiert werden, von den Gefangenen drohen ihm Angriffe auf seine physische und psychische Integrität.“
Unappetitlicher Gefängniswein aus der Plastiktüte
Die Strafverteidiger Ingo Lenßen und Robert Scheel haben in ihrem „Knast-Guide“ den Alltag beschrieben, wie er sich mehr oder weniger ähnlich in den 186 deutschen Gefängnissen abspielt. Mit ihren knapp 73 000 Häftlingen, darunter rund 4400 Frauen. Angefangen bei der Ankunft im Gefängnis (Entkleidung und körperliche Untersuchung, Abgeben der privaten Habseligkeiten) über die Beschreibung der Hafträume: „Mit Toiletten in den meisten Fällen, wenn überhaupt, nur durch einen Vorhang abgetrennt.“ Welche Kleidung getragen werden darf. Und dass es erst seit 2014 das gerichtlich durchgesetzte Recht auf täglich frische Unterwäsche und Socken gibt. Sie beschreiben, wie es um das Essen bestellt ist und dass natürlich Alkoholverbot besteht.
Die Autoren schildern indes, wie findige Gefangene „Prison Wine“ herstellen. Der Gefängniswein wird heimlich produziert mit Äpfeln, Ketchup, Zucker, Milch und anderen Zutaten. Diese werden zur Gärung in einer Plastiktüte aufbewahrt. So wird ein ansehnlicher Alkoholgehalt erzielt, freilich um dem Preis des Geschmacks, den erfahrene Häftlinge so umschreiben: „Wie verdünnter Wein mit einer leichten Note von Erbrochenem.“
Es geht in dem Buch um die Besuchsregeln (mindestens eine Stunde Besuch pro Monat), um Regelungen, wann dem Häftling Telefonieren erlaubt ist. Und dass er oder sie maximal drei Mal im Jahr ein Päckchen geschickt bekommen darf. Es geht detailliert um die Arbeitspflicht und die karge Entlohnung, die ja derzeit auch Thema beim Bundesverfassungsgericht ist. Und um die „Strafen für Bestrafte“: wenn sich also ein Häftling daneben benimmt und dann auch eine Zeit lang zum Beispiel nicht mehr im Gefängnishaftladen einkaufen darf, sein Besuchsrecht eingeschränkt wird und anderes mehr.
Auch über die Subkulturen innerhalb der Gefängnismauern, mit denen ja auch Uli Hoeneß Bekanntschaft machte, schreiben Lenßen und Scheel. Über Hierarchien, Abhängigkeitsverhältnisse und selbstgesetzte Verhaltensregeln der Inhaftierten. Ein Kapitel widmet sich den Regelungen für die Schritte in die Freiheit: Arbeit außerhalb des Knasts, Freigang, Urlaub. Und Haftlockerungen zur Vorbereitung der Haftentlassung, die ein kritischer Zeitpunkt ist: Jeder dritte Strafgefangene begehe innerhalb von drei Jahren erneut eine Straftat, schreiben die Autoren. Und: „Die Gesellschaft muss nicht nur aus Achtung vor dem Individuum selbst, sondern auch zu ihrem eigenen Schutz daran interessiert sein, Straftäter wieder in ihrer Mitte zu integrieren und vor neuen Straftaten zu bewahren.“
Weitere Kapitel befassen sich mit Drogen im Gefängnis, mit Häftlingen aus fremden Kulturkreisen, mit Frauen und Jugendlichen im Knast und den Problemen alter Strafgefangener. Auch auf verurteilte Sexualstraftäter, die in der Knasthierarchie meist ganz unten stehen, kommen die Autoren zu sprechen. Bemerkenswert dabei diese Erkenntnis: „Es ist nicht selten, dass Sexualstraftäter durch die Vollstreckungsbehörden eine Legende bekommen, um sie vor Übergriffen zu schützen. Dann werden sie offiziell wegen eines Betrugsdelikts eingeliefert. Was sie wirklich getan haben, weiß nur die Anstaltsleitung, nicht einmal die JVA-Bediensteten kennen den wahren Grund der Inhaftierung.“
Ein lesenswerter Einblick in den deutschen Knastalltag. Zur Abschreckung derer, die es besser erst gar nicht darauf ankommen lassen, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt zu werden. Und ein nützlicher Ratgeber für diejenigen, denen eben das nicht gelungen ist.