Übergewicht Soziale Ungleichheit lässt Risiko für Übergewicht bei Kindern steigen
Berlin · Kinderärzte fordern neue Konzepte gegen Fettleibigkeit. Zum Beispiel eine Zuckersteuer.
Übergewichtige Kinder in Deutschland sind längst keine Seltenheit mehr. Das hat auch mit der sozialen Ungleichheit zu tun. Die Organisationen der Kinder- und Jugendärzte forderten deshalb am Dienstag in Berlin neue Strategien im Kampf gegen die überschüssigen Pfunde. Dazu zählen eine Zuckersteuer sowie Werbebeschränkungen für Produkte mit besonders hohem Fettgehalt.
Die Fakten:
Nach einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts ist fast jedes sechste Kind in Deutschland übergewichtig. Unter Adipositas, also krankhaftem Übergewicht, leiden 5,5 Prozent der Mädchen und 6,3 Prozent der Jungen. Die Fettleibigkeit ist mit einer deutlich verkürzten Lebenserwartung verbunden. Der Verlust von Lebensjahren durch Übergewicht bei jungen Erwachsenen liegt je nach Ausprägung zwischen sechs und 19 Jahren. Das Sterberisiko bei adipösen Jugendlichen ist in den nachfolgenden vier Jahrzehnten fast fünf Mal höher als bei normalgewichtigen Altersgenossen. Besonders anfällig sind Betroffene für Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall.
Die Entwicklung:
Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) ist die Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas bei der jungen Generation in den letzten zehn Jahren zwar weitgehend unverändert geblieben. Doch kam es zu deutlichen Verschiebungen in den sozialen Milieus. Bei Kindern, deren Eltern wenig Geld verdienen und niedrige oder gar keine Bildungsabschlüsse haben, liegt die Adipositas-Häufigkeit aktuell gut vier Mal höher als bei Kindern in gut situierten Familien. Noch zu Beginn der 2000er Jahre gab er hier „nur“ einen dreifachen Unterschied.
Die Bewertung:
BVKJ-Präsident Thomas Fischbach sprach gestern in Berlin von einer dramatischen Zunahme der deutlich schlechteren Gesundheits- und Lebenschancen für Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommens- und Bildungsstand, die nicht mehr länger hinnehmbar seien. Gebraucht würden effiziente Maßnahmen zur Reduzierung des Risikos. Die Chefin des DGKJ, Ingeborg Krägeloh-Mann, bemängelte, dass alle bisher favorisierten Gegen-Strategien zumeist nur die ohnehin interessierten Familien erreicht hätten. Da der größte Risikofaktor für kindliches Übergewicht eine ungesunde Ernährung sei, müsse hier zuerst angesetzt werden.
Die Forderungen:
Die Verbände der Kinder- und Jugendärzte sowie die Deutsche Adipositas-Gesellschaft machen sich für ein Verbot von zuckerhaltigen Getränken an Kitas und Schulen stark. Zugleich werden Mindeststandards für eine gesunde Gemeinschaftsverpflegung in diesen Einrichtungen gefordert. „Kinder sollen lernen, Wasser zu trinken, um ihre Gesundheit zu schützen“, empfahl die Adipositas-Expertin Susanne Wiegand. Darüber hinaus setzen sich die Fachleute für eine Zuckersteuer sowie eine Beschränkung von der an Kinder gerichteten Lebensmittelwerbung ein. Denn nach allen Erkenntnissen würden Kinder, die die dieser Werbung ausgesetzt seien, mehr ungesunde Speisen und Getränke zu sich nehmen, meinte Wiegand.