Interview Ukrainischer Botschafter: „AfD-Politiker wurden von den Russen perfide instrumentalisiert“

Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland, setzt weiter auf die westliche Solidarität. Er schätzt besonders die Vermittlungsrolle von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Konflikt mit Russland.

Foto: Judith Michaelis

Herr Botschafter, Sie haben sich in Düsseldorf mit der AfD-Landtagsfraktion getroffen, nachdem AfD-Politiker über Russland auf die Krim gereist sind. In der Ukraine ist das eine schwere Straftat, Sie haben mit rechtlichen Konsequenzen gedroht.

Andrij Melnyk: Ja, das ist so oder sogar schlimmer als wenn jemand — undiplomatisch ausgedrückt — mit einem Boot über Helgoland nach Deutschland ohne ein Visum käme und dann noch irgendwo in Dithmarschen mit Plakaten stehen würde „Das ist dänisches Gebiet“. Man kann legal auf die Krim reisen, dazu braucht man eine Genehmigung der ukrainischen Behörden, die sehr zügig erteilt wird. Es gibt keine offiziellen Flug- und Schiffsverbindungen, der Landweg ist daher verbindlich. Den hätten auch die AfD-Politiker nutzen können und müssen, um sich ein Bild zu machen.

Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland

Wie lief das Gespräch?

Melnyk: Die Fraktionsspitze hat betont, es sei ein privater Besuch gewesen, aber ganz so privat war er natürlich nicht. Die Politiker haben sich in eine AfD-Fahne gehüllt und als Landtagsabgeordnete Kärtchen verteilt, sie haben politische Statements abgegeben, die mit einer Privatreise nichts zu tun haben und gegen die Interessen und territoriale Integrität der Ukraine verstoßen. Ich reise auch nicht im Sommer nach Mallorca und äußere mich dort zum Thema Katalonien. Für Deutsche, die in Frieden und Wohlstand leben, und für die Reisefreiheit das höchste Gut ist, mag das alles etwas schräg klingen, aber die Ukraine kann solche Verletzungen ihrer Souveränität nicht dulden. Und natürlich wurden die AfD-Politiker von den Russen perfide instrumentalisiert.

Andrij Melnyk

Für die mediale Verbreitung sorgt bei der AfD gern das russische Staatsmedium RT, das frühere „Russia Today“. In der Ukraine ist RT verboten, die EU-Staaten scheuen sich bislang, klar zwischen freier Presse und Putins Propaganda zu unterscheiden. Verstehen Sie das?

Melnyk: Deutschland ist eine mediale Demokratie. Ohne Meinungs- und Pressefreiheit würde die Ukraine kaum wahrgenommen, wir wären verloren. Was kann ich mit einem Gespräch im Auswärtigen Amt bewirken, wenn niemand berichtet? Andererseits will man bei Ihnen nicht wahrhaben, dass es die russische hybride Kriegsführung via Medien wirklich gibt. Wir erleben besonders seit vier Jahren massivst, was sie anrichtet. In Berlin tun sich viele mit der Unterscheidung zwischen Freiheit und Missbrauch schwer.

Frage: Was hat in Ihren Gesprächen mit dem Auswärtigen Amt Vorrang: Der Krieg in der Ost-Ukraine, der weitergeht, oder die russische Besetzung der Krim?

Melnyk: Die Themen kann man nicht trennen, das ist aber leider die deutsche Linie: Erst den Krieg beenden, dann die Krim angehen. Das ist zwar logisch aber falsch, damit erzielt man kaum Erfolge. Nach vier Jahren Diplomatie ist der Krieg immer noch da, es wird jeden Tag geschossen. Eine Million Menschen sind entlang einer sogenannten Kontaktlinie von 4019 Kilometern jeden Tag vom Artilleriebeschuss betroffen. Davon darf man die Krim nicht trennen, denn die Ursache ist die gleiche und liegt in Moskau. Für die Krim gibt es bisher nicht einmal ein Gesprächsformat, man unternimmt fast nichts. Wir treten dafür ein, ein solches Format zu schaffen. Für Nord-Zypern gibt es immerhin einen Uno-Sonderbeauftragten und es laufen Verhandlungen über die Wiedervereinigung der Insel. Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung neue Akzente setzen wird.

Andrij Melnyk

Wie ernst nehmen Sie in diesem Zusammenhang Äußerungen des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner oder des vorbestraften Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß, die die Krim-Frage ruhen lassen wollen, um mit Russland über andere Themen wieder ins Gespräch zu kommen?

Melnyk: Das ist sehr schmerzhaft. Vor allem sind das Illusionen, die mit der traurigen Realität nichts zu tun haben und nicht weiterhelfen. Die Vorstellung, das Problem zu lösen, indem man es ausklammert, ist zumindest naiv. Da reden Politiker und Prominente öffentlich über Sachen, die sie nicht verstehen. Ich habe versucht, mit Christian Lindner darüber zu sprechen, aber ein zugesagtes Treffen ist bis heute nicht zustande gekommen. Im Gespräch mit Wolfgang Kubicki ist mir klar geworden, dass die Partei kein eigenes Lösungsrezept hat. Populistische Äußerungen helfen nicht.

Sie setzen sich dafür ein, dass Deutschland den „Holodomor“, Stalins planmäßige Ermordung von Millionen von Ukrainern 1932 und 1933 durch Verhungern lassen, als Völkermord anerkennt. Kanada, die USA und EU-Staaten wie Belgien oder auch der Vatikan haben es getan. Was antworten Ihnen die Deutschen?

Melnyk: Die Antwort, die ich für etwas zynisch halte, ist: Beim Völkermord an den Armeniern gab es so etwas wie eine deutsche Mitverantwortung, zumindest ein Mitwissen. Deshalb sei es auch ein Thema für den Bundestag gewesen. Das treffe auf den Holodomor nicht zu. Immerhin: Dank der Grünen hat es im vergangenen Jahr eine Bundestagsdebatte über historische Verantwortung Deutschlands gegenüber der Ukraine gegeben, wenn auch ohne Beschlüsse. Diese Debatte wollen wir fortführen und hoffen, dass auch das deutsche Parlament den Holodomor als Völkermord anerkennt. Was wir heute mit Russland erleben, ist auch aus der Geschichte besser zu verstehen.

Andrij Melnyk

Kommende Woche beginnt die Münchner Sicherheitskonferenz, an der auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko teilnimmt. Fürchten Sie, dass die Ukraine gegenüber Syrien aus dem Blick gerät?

Melnyk: Ich fürchte, auch Syrien gerät aus dem Blick. Die Ukraine ist bei der Konferenz kein offizielles Thema. Darüber hatten wir mit dem Vorsitzenden der Konferenz, Wolfgang Ischinger, den wir sehr schätzen, harte Auseinandersetzungen. Der einzige heiße Krieg innerhalb Europas ist in München eher ein Randthema. Ich verstehe, dass der Konflikt schwierig und unbequem ist, aber je länger es dauert, umso dringlicher wird es. Daher sind wir Herrn Ischinger sehr dankbar für die Einladung von Präsident Poroschenko, der eine Rede halten wird.

Andrij Melnyk

Welche Rolle spielt dabei, dass die Regierungsbildung in Berlin so lange dauert?

Melnyk: Eine Schlüsselrolle, ohne Übertreibung. Wir schätzen die deutsche Vermittlung sehr, auch den ganz persönlichen Einsatz der Kanzlerin. Dass überhaupt der Konflikt eingedämmt werden konnte und die internationalen Verhandlungen eingeleitet wurden, verdanken wir Frau Merkel. Im Wahljahr gab es leider nur ein einziges Treffen im Normandie-Format; es dauerte 37 Minuten.

Was erwarten Sie von der nächsten deutschen Regierung?

Melnyk: Deutschland hat sich entschieden, eine aktivere Rolle in der Welt zu spielen. Wir hoffen, dass die Bundesrepublik ihr politisches Gewicht in die Waagschale wirft, um den Konflikt endlich zu lösen. Es ist wichtig, dass die Sanktionen gegen Russland nicht aufgehoben werden, denn das würde den Konflikt einfrieren. Mit schwerwiegenden Folgen, auch für Deutschland. Es würde bedeuten, dass die Ukraine alleine nach einer Lösung suchen müsste, und wir aufgrund unserer militärischen Unterlegenheit weiter aufrüsten müssten.

Halten Sie eine weitere Eskalation für möglich?

Melnyk: Sollte die westliche Solidarität aufhören, wäre eine Rückkehr des Revanchismus und sogar die Forderung nach eigenen Atomwaffen nicht ausgeschlossen. Die Ukraine hat ja ihre Atomwaffen gegen das Versprechen der Unverletzlichkeit ihrer Grenzen noch 1994 abgegeben. Russland hat aber diese Verpflichtung zynisch gebrochen. Wir sind 45 Millionen Menschen, sehr viele junge, eine blühende Zivilgesellschaft. Ich will gar nicht spekulieren, was in zehn oder 20 Jahren wäre, wenn der Konflikt immer noch nicht gelöst wird. Der Krieg in der Ost-Ukraine kostet Russland drei Milliarden Euro pro Jahr. Die russische Wirtschaft wurde nicht reformiert, sie basiert weiter auf Rohstoffen. Wie lange kann sich der Kreml diesen Krieg ohne Zusammenbruch noch leisten?