Unruhen in Tunesien - Berlin rät von Reisen ab
Paris/Berlin (dpa) - Die gewaltsamen Proteste in Tunesien mit Toten und Verletzten greifen immer stärker auf die Hauptstadt Tunis über. Die von der Staatsführung verhängte nächtliche Ausgangssperre zeigte wenig Wirkung.
In Tunis lieferten sich Polizei und etwa 300 Demonstranten am Donnerstag Straßenschlachten. Das Regime geht weiterhin mit aller Härte gegen Demonstranten vor. Bislang kamen nach Angaben von Menschenrechtlern mindestens 66 Menschen ums Leben. Das Auswärtige Amt in Berlin verschärfte am Donnerstag seine Sicherheitshinweise für den nordafrikanischen Staat und rät von Reisen ab, die nicht unbedingt notwendig sind.
Reiseveranstalter schätzen, dass sich etwa 10 000 Urlauber in Tunesien aufhalten. Außenminister Guido Westerwelle zeigte sich zutiefst besorgt über die Lage im Land. „Wir verurteilen jegliche Gewalt“, sagte er in Berlin. Die Bundesregierung erwarte, dass das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten beendet werde. Westerwelle forderte außerdem die Freilassung aller politischen Gefangenen. Für Freitag wurde die tunesische Botschafterin zu einem Gespräch ins Auswärtige Amt gebeten.
Erste Reiseveranstalter bieten bereits kostenlose Umbuchungen an. Marktführer Tui und der Thomas-Cook-Konzern mit der Hauptmarke Neckermann Reisen erklärten, das dies zunächst für alle Anreisen bis einschließlich 24. Januar gelte. Bislang ist keiner der Urlaubsorte Tunesiens am Mittelmeer von der Gewalt betroffen. Nach Ansicht von Experten können Tunesien-Urlauber ihre Reise wegen der aktuellen Lage auch kostenlos stornieren. Der Veranstalter müsse den Reisepreis dann erstatten, sagte Sabine Fischer-Volk von der Verbraucherzentrale Brandenburg.
Die Proteste, die sich ursprünglich gegen die hohe Arbeitslosigkeit richteten, zielen immer mehr auf das Regime von Präsident Zine el Abidine Ben Ali, der das Land seit 23 Jahren autoritär regiert.
In Tunis wurden mindestens zwei Demonstranten nach Augenzeugenberichten von Polizisten erschossen, die auf Häuserdächern stationiert waren. Sicherheitskräfte umzingelten den Sitz der größten tunesischen Gewerkschaft. Die Regierung sagte vorläufig alle Sportwettkämpfe ab.
In Sidi Bouzid, wo die Unruhen mit der Selbstverbrennung eines arbeitslosen Hochschulabsolventen Mitte Dezember begonnen hatten, hielt der Generalstreik den zweiten Tag in Folge an. Dort gingen mehr als 10 000 Menschen auf die Straße und forderten den Rücktritt von Ben Ali.
Die Menschenrechtsorganisation FIDH legte am Donnerstag eine neue Opferbilanz vor. Demnach sind bislang 66 Todesopfer namentlich identifiziert. Unter ihnen ist auch ein franko-tunesischer Hochschuldozent. Der 38-Jährige unterrichtete an der Universität von Compiègne im Norden von Paris und war zu einem Austausch in Tunesien. Nach Augenzeugenberichten wurde er bei einer Demonstration in Douz im Süden des Landes von der Polizei erschossen.
Eine 67-Jährige, die sowohl die schweizerische als auch die tunesische Staatsbürgerschaft hat, war am Mittwochabend in Dar Chaabane in Nordtunesien getötet worden. Sie hatte von einem Balkon aus eine Demonstration beobachtet und war von einer Kugel am Hals getroffen worden. Ihre Hinterbliebenen wollen Klage gegen die tunesischen Sicherheitskräfte einreichen. Ein amerikanischer Fotograf wurde am Donnerstag durch einen Schuss am Bein verletzt. Seine Identität war zunächst nicht bekannt.
Die EU drängt Tunesien zu Reformen. Dies sei angesichts der Unruhen das Hauptziel des Dialoges mit dem Land, sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel. Die EU unterstütze alle Initiativen, die eine demokratische Öffnung Tunesiens sowie den Respekt der Grundrechte förderten.
Am Donnerstagabend verbreiteten sich Gerüchte über einen Rücktritt von Außenminister Kamel Morjane aus Protest gegen die Gewalt der Sicherheitskräfte. Auf seiner offenbar gefälschten Website war in Arabisch, Englisch und Französisch ein Rücktrittsschreiben zu lesen, in dem er die Regierung heftig kritisierte.