#Brexit und die Folgen Volksentscheid: Soll der Bürger das Sagen haben?
Das Nein der Briten zur EU belebt erneut die politische Debatte um Sinn, Nutzen und Risiken von Volksentscheiden.
Düsseldorf. Als Armin Laschet, der Chef der CDU-Opposition im NRW-Landtag, nach Bekanntwerden des Brexit das Ergebnis kommentierte, da wurde er auch gleich sehr grundsätzlich. Grenzen und Schwächen des Mittels der Volksabstimmung seien erneut offenkundig geworden — in einem Wahlkampf mit falschen Behauptungen. Und, so Laschet weiter: „Diejenigen, die Konsequenzen tragen müssen, waren mehrheitlich gegen diesen Weg.“
Falschinformationen, Irreleitungen der abstimmenden Bevölkerung, die ihre Entscheidung längst bereut — solche Vorwürfe gibt es zuhauf auch auf der Insel. Junge Leute, die gegen den Brexit waren, sehen ihre eigene Zukunft durch nationalistisch motiviertes Verhalten der älteren Generation verbaut. All das scheint zu beweisen, dass dieser Weg der Entscheidungsfindung einfach nichts taugt.
Oder wird diese Kritik nur deswegen jetzt so laut, weil vielen Menschen das Ergebnis des Referendums einfach nicht passt? Hätte man bei umgekehrtem Ausgang die Weisheit der britischen Bevölkerung gelobt? Und ist es nicht gerade angemessen, dass man über eine so wichtige Frage wie den Austritt aus der Europäischen Union die Menschen selbst und direkt entscheiden lässt?
Michael Efler, Vorstandssprecher des Vereins „Mehr Demokratie“, der sich für Plebiszite einsetzt, meint, dass nicht nur in Großbritannien, sondern auch in anderen Mitgliedstaaten die Menschen „die EU-Politik als abgehoben und elitengesteuert“ erlebten. Wenn die Bürger mehr Einfluss auf die EU-Politik und das Recht auf Volksabstimmungen hätten, „dann hätten wir sicher bald eine demokratischere EU“.
Efler weist darauf hin, dass es seit den 1970er Jahren Volksentscheide zu Fragen europäischer Politik gibt, zuletzt in den Niederlanden zum Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Die meisten dieser Volksentscheide hätten mit einem Ja zur europäischen Integration geendet. Von den 57 Abstimmungen betrafen 21 den Beitritt zur EU beziehungsweise zu ihrem Vorgänger EG und drei den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). 18 Volksentscheide fanden über Erweiterungen der vertraglichen Grundlagen der EU statt: über die Einheitliche Europäische Akte, die Verträge von Maastricht, Nizza, Amsterdam und Lissabon sowie über den Verfassungsvertrag und den Fiskalvertrag.
Wenn die Bürger gefragt werden, ob sie ihr Land in einer solchen Gemeinschaft haben wollen, dann klingt es nur logisch, dass auch bei einem Austritt nichts anderes gelten kann. Und vielleicht lösten sich ja auch Austrittsgedanken in Luft auf, wenn sich die EU selbst demokratischer aufstellte und sich die Menschen nicht machtlos und ferngesteuert fühlten. Das meint auch Michael Efler: „Dass es überhaupt zu Austritts-Überlegungen kommt, zeigt doch, dass die EU ein Demokratie- und Legitimationsdefizit hat.“
So fordert der Verein „Mehr Demokratie“, dass das EU-Parlament, das — weil von den EU-Bürgern gewählt — die am besten legitimierte Institution der EU sei, gestärkt werden müsse. Gestärkt durch ein Initiativrecht im Gesetzgebungsverfahren und das alleinige Haushaltsrecht. Und es müsse eben auch auf EU-Ebene direkte Demokratie in Form von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksabstimmungen geben.
Skeptiker halten die Argumente dagegen, die auch auf nationalstaatlicher Ebene gegen direkte Beteiligung der Bürger vorgebracht werden: So gebe es erhebliche Risiken für die Qualität politischer Beschlüsse. Mit sachfremden Argumenten würden Bürger in die Irre geleitet. Referenden begünstigten vor allem professionell organisierte populistische Initiativen. Auch sei das den Bürgern zur Entscheidung vorgelegte „Ja“ oder „Nein“ ungeeignet zur Klärung vielschichtiger, komplexer Sachfragen. Dieses Ja oder Nein erlaube — anders als bei von politischen Entscheidungsträgern ausgehandelten Entscheidungen — keine Kompromisse, die die Interessen verschiedener Bevölkerungsteile berücksichtigen könnten. Und Politiker könnten sich ganz anders in politisch zu entscheidenden Fragestellungen einarbeiten, das Für und Wider abwägen.
Dagegen steht freilich, dass die Prozesse der Entscheidungsfindung in Brüssel, vielfach gelenkt und beeinflusst durch ein Heer von Lobbyisten, von interessengeleiteten Strippenziehern, aus demokratietheoretischer Perspektive auch nicht gerade für sich sprechen. Wenn man die Bürger mehr mitentscheiden ließe, könnte dies vielleicht auch die Akzeptanz des europäischen Projekts insgesamt heben. Insoweit können vielleicht gerade das Brexit-Referendum und die Negativkritik an dieser Art der Entscheidungsfindung dazu führen, dass demokratische Verfahren in der EU gestärkt werden.