Wuppertal-Ronsdorf JVA-Suizid: 17-Jähriger „zukunftsorientiert“?

Trotz erklärter Suizid-Pläne mutmaßt Justizminister Kutschaty, der 17-Jährige habe den Todeswunsch „erst kurz vor der Tat entwickelt“.

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Wuppertal/Düsseldorf. Der Bericht über den dritten Todesfall binnen zweier Monate in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf, den Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) am Mittwoch im Rechtsausschuss des Landtags vortragen wird, hat es in sich: „Zusammenfassend lässt sich mutmaßen, dass Herr S. zunächst durchaus zukunftsorientiert war und sich der Todeswunsch erst kurz vor der Tat entwickelt hat“, heißt es darin wörtlich.

Der 17-jährige Gefangene hatte sich am 11. Juni mit einem Bettlaken erhängt. Er war erst am Vortag von der JVA Köln nach Wuppertal verlegt worden. Kutschatys Mutmaßung über die Zukunftsorientiertheit dürfte im Ausschuss für Diskussionen sorgen, zumal der Bericht, der unserer Redaktion vorliegt, zuvor ein ganz anderes Bild zeichnet.

Der 17-jährige S., der bei Polizei als Intensivtäter geführt worden sei, befand sich demnach bereits einmal zwischen dem 10. und 25. November 2015 in der Ronsdorfer JVA in Untersuchungshaft. Zitat des Berichts: „Während des Voraufenthaltes des Gefangenen in der Anstalt im November 2015 wurde erst im Verlaufe der Inhaftierung aufgrund der Äußerung von Suizidabsichten die Sicherungsmaßnahme der 15minütigen Beobachtungen angeordnet.

Laut Justizministerium wurde S. dann am 25. November 2015 wegen Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Leistungserschleichung schuldig gesprochen. Die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe sei zur Bewährung ausgesetzt worden, heißt es in dem Bericht. Und einen Satz weiter: „Beim Amtsgericht Köln sind fünf weitere Anklagen anhängig.“

Der 17-jährige S. blieb aber zunächst auf freiem Fuß. Am 9. Juni sei S. dann aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Köln wegen räuberischen Diebstahls festgenommen und zunächst in der JVA Köln untergebracht worden. Zitat des Berichts: „Bereits bei der Aufnahme in die JVA Köln wurde wegen einer suizidalen Gefährdung die Sicherungsmaßnahme der wiederholten Beobachtung in unregelmäßigen zeitlichen Abständen von nicht mehr als 15 Minuten Dauer angeordnet.“

Es sei aus „medizinischen Gründen“, die der Bericht nicht näher ausführt, unmöglich gewesen, den Gefangenen mit einer „unausgesetzten gemeinschaftlichen Unterbringung“ vor sich selbst zu schützen. Am 10. Juni wurde S. dann wegen seines Alters in die Jugend-JVA Wuppertal-Ronsdorf verlegt, wo er im November 2015 bereits in Untersuchungshaft gesessen hatte.

Und wieder gab es keine Zweifel an den Selbsttötungsabsichten des Gefangenen. Zitat des Berichts: „Auch nach Einschätzung des Anstaltsarztes der JVA Wuppertal-Ronsdorf war aufgrund der Äußerungen und des Verhaltens des Gefangenen vom Vorliegen einer suizidalen Gefährdung auszugehen.“ Nicht nur blieb die Sicherungsmaßnahme der „wiederholten Beobachtung in unregelmäßigen zeitlichen Abständen von nicht mehr als 15 Minuten Dauer“ bestehen. Zusätzlich seien der Entzug gefährlicher Gegenstände und die verstärkte Durchsuchung angeordnet worden.“

Zusammengefasst: Dreimal war der 17-Jährige in Wuppertal-Ronsdorf und Köln inhaftiert, dreimal äußerste er Suizidabsichten, dreimal wurden Sicherungsmaßnahmen angeordnet. Wie lässt sich daraus zusammenfassend „mutmaßen, dass Herr S. zunächst durchaus zukunftsorientiert war und sich der Todeswunsch erst kurz vor der Tat entwickelt hat“, wie Justizminister Kutschaty schreibt?

Der Bericht vermerkt dazu lediglich, dass S. am 10. und 11. Juni in Ronsdorf „keine besonderen Auffälligkeiten“ gezeigt habe. Er habe sich in seinem Haftraum ruhig verhalten, die Freistunde wahrgenommen und am 11. Juli auch zu Mittag gegessen. Nachträglich seien in seiner Zelle mehrere Anträge gefunden worden (Taschengeld, Teilnahme am Sport), die er mit dem Datum 10. Juni unterschrieben habe.

Am 11. Juni habe die zuständige Abteilungsbeamtin um 16.05 Uhr kurz mit dem Gefangenen gesprochen „und dabei keine Besonderheiten registriert“. Um 16.18 Uhr bei der nächsten Kontrolle hatte S. sich dann bereits mit einem Bettlaken erhängt. Reanimationsmaßnahmen seien erfolglos geblieben, ein Notarzt habe nur noch den Tod des Gefangenen feststellen können. Im Bericht heißt es: „Das Ergebnis der staatsanwaltlichen Ermittlungen ist abzuwarten, der Sterbefall hat bislang zu Maßnahmen der Dienstaufsicht keinen Anlass gegeben.“

Vor dem Suizid des 17-Jährigen hatte am 4. Mai ein Häftling einen Mitgefangenen beim Kartenspiel erwürgt. Zuvor hatte sich am 26. April eine Bedienstete der JVA in der Außenpforte des Gefängnisses selbst getötet, nachdem sie die Tat in sozialen Medien verdeckt angedeutet hatte.