„Bildung ist A und O“: Musliminnen stärken
Köln (dpa) - Selbst ist die Frau - für viele Musliminnen ein noch unerreichtes Ziel. Um auf eigenen Füßen zu stehen, brauchen sie gute Deutsch-Kenntnisse, Wissen übers Land, Know-how. Zum 100. Weltfrauentag (8.
März) rückt ein Kölner Zentrum ins Blickfeld.
Zou Urbaine ist eine starke Frau. Die Mutter von zwei Kindern ist als Analphabetin aus der Elfenbeinküste gekommen, hat pausenlos gepaukt, steht jetzt vor der Abschlussprüfung. Ziel ist ein Bürojob in Köln. „Die deutsche Grammatik ist schwer. Nominativ, Genitiv - einem, eine, einen, eines... Aber ich lerne, lerne, lerne“, sagt die Teilnehmerin eines „Alpha-Deutsch-Kurses“.
Lesen, Schreiben, Deutsch - es klappt gut nach knapp 1200 Unterrichtsstunden. Die Prüfung werde ihr eine Tür in die Arbeitswelt öffnen, hofft Zou Urbaine. Täglich büffelt sie im Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen (BFmF), das bundesweit einzigartig ist und zum 100. Weltfrauentag in den Fokus rückt.
„Wir sind eine Selbsthilfegruppe, von Frauen für Frauen. Die Ideen kommen von den Migrantinnen selbst“, sagt Vize-Geschäftsführerin Hanim Ezder. Aus einem Miniverein von Musliminnen ist binnen 15 Jahren eine große Einrichtung mit 60 Mitarbeiterinnen geworden. Das Haus in Köln hat viele Auszeichnungen für „vorbildliches Engagement bei der Integration von Zuwanderern“ erhalten. Bund, Land, Kommune und EU fördern die Arbeit finanziell. 200 bis 300 Frauen aus gut 40 Ländern kommen Tag für Tag in die Kurse, viele tausend sind es im Jahr. „Wir sind Muslime und stehen dazu. Aber wir haben auch Christen und Nichtgläubige hier.“
Ezder erzählt: „Es kommen Frauen mit und ohne Kopftuch, im Sommer mit langen Kleidern oder Spaghettiträgern. Jeder Jeck ist anders und jeder Muslim ist anders. Muslime und Migranten sind genauso heterogen wie Christen und Deutsche.“ Ziel der Einrichtung: „Es geht darum, dass die Frauen eigenständig werden, ein selbstbestimmtes Leben führen können“, erklärt die 39-Jährige, die aus der Türkei stammt und in Köln Germanistik und Islamwissenschaft studiert hat.
Es gibt Integrationskurse, viele Frauen machen aber auch den Hauptschulabschluss oder bilden sich ganz praktisch weiter. Zum Angebot gehören Kfz-Kurse, Computer-AG, Bewerbungstraining, Internet- Führerschein, Erziehungsberatung, Seminare zur Rolle der Frau, zu deutscher Geschichte oder zur Frage „Wie verstehe ich Rechtstexte?“. In den aktuell elf Deutsch- und Integrationskursen sitzen sechs Prozent Akademikerinnen. Knapp die Hälfte hat keinen Schulabschluss, der Rest einen hier nicht anerkannten Abschluss.
Nach 900 Stunden steht die Prüfung an. Ist Alphabetisierung inklusive, dauert es 1200 Stunden - ein ehrgeiziges und straffes Programm, wie die Kölner Teilnehmerinnen sagen. Seit 2005 gibt es staatlich verordnete Sprachkurse, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zahlt für Hartz-IV-Empfänger. „Der Bedarf ist riesig, das sehen wir an dem großen Zulauf. Wir brauchen mehr Angebote, vor allem in den Großstädten“, sagt Ezder. „Der Wille zum Lernen und zur Integration ist da.“
Die Hauptmotivation der muslimischen Schülerinnen: ihren Alltag selbst bewältigen zu können. „Manche empfinden es als Blamage, wenn sie wegen Sprachdefiziten nicht zum Elternabend in die Schule gehen können, wenn die eigenen Kinder sich für sie schämen oder der Ehemann sie zum Arzt begleitet“, weiß die Expertin. Viele wollen einen Job oder die Prüfung als Voraussetzung für eine Einbürgerung.
Die Kölner Einrichtung ist eigenständig, gehört keiner Moscheegemeinde oder muslimischen Organisation an. Kinderbetreuung ist dabei: „Wir haben viele Alleinerziehende. Wir bedenken alles, um den Frauen das Kommen zu erleichtern.“ Auch ein muslimisches Familienbildungswerk gehört dazu, Hausaufgabenbetreuung für Jugendliche - sogar ein Väterclub, in dem Türkisch oder Arabisch gesprochen wird.
Hanim Ezder sagt abschließend: „Die negative Diskussion nach dem Gerede von Thilo Sarrazin über Muslime und Migranten hat viele von uns gekränkt. Aber es stoppt uns nicht. Bildung ist das A und O und stärkt uns Frauen.“