Bildungsforscherin: Handschrift wird immer seltener
Nürnberg (dpa) - Tippen auf Handy und Computer statt Schreiben mit der Hand: Viele Kinder können nur noch schlecht mit einem Stift umgehen und tun es auch kaum noch. Eine Nürnberger Bildungsforscherin geht der Frage nach, ob die Handschrift ausstirbt.
Viele Schüler können heute nicht mehr richtig mit der Hand schreiben. Ihnen fehlen nach Angaben der Nürnberger Bildungsforscherin Stephanie Müller die motorischen Fähigkeiten. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur erklärt die 46-Jährige, was die Gründe dafür sind.
Was sind die Ursachen dafür, dass Kinder nicht mehr schreiben können?
Stephanie Müller: Die Kindheit heute ist nicht mehr so bewegt. Wir haben früher draußen gespielt, sind rumgehüpft und auf Bäume geklettert. Heute können Kinder in der dritten Klasse nicht mal mehr gerade rückwärtsgehen oder freihändig auf einem Bein stehen. Auch muss kaum noch ein Kind im Haushalt helfen und etwa einen Faden einfädeln. Auch Schleifen an den Schuhen bindet kaum noch jemand, weil es Klettverschlüsse und Druckknöpfe gibt. Und die Eltern haben keine Zeit mehr. Es achtet niemand darauf, dass ein Kind Schreiben übt.
Welche Rolle spielen Handys und Co?
Müller: Auch durch die neuen Medien sitzen Kinder heute mehr. Und für die Handbewegungen, die man heute können muss, braucht man nur den Zeigefinger oder beide Daumen zum Tippen oder das Handgelenk, wenn man über das Pad wischt. Das sind nicht die Bewegungen, um ein Kritzel-Alphabet zu können, das die Grundlage für Handschrift ist.
Wenn immer weniger Kinder und Jugendliche mit der Hand schreiben können, stirbt die Handschrift dann irgendwann aus?
Müller: Die Handschrift wird nie aussterben. Sie wird aber seltener angewendet werden.
Wo müsste man ansetzen, um Kinder das Schreiben zu lehren?
Müller: Bei den Lehrern und Eltern. Seit zwei Jahren kommen selbst im Lehrer-Seminar junge Anwärter zu mir, die nicht mehr schreiben können. Und wenn schon die Lehrerin den Stift falsch hält, wie soll es dann der Schüler lernen? Und auch den Eltern müsste man wieder beibringen, richtig zu schreiben. Es gibt zum Beispiel das Programm „Parents as teachers“ (Eltern als Lehrer), bei dem Schwangeren und jungen Müttern beigebracht wird, wie man ein Kind aufziehen sollte.
Müsste man auch das Schulsystem ändern?
Müller: Zwischen Kita und Grundschule bräuchte man ein Jahr, wo man die Grundfähigkeiten für das Schreiben lernt. Früher hat man im Kindergarten gespielt, gemalt und gekritzelt und in der ersten Klasse dann monatelang nur Schwungübungen gemacht, bevor es richtig ans Schreiben ging. Das fehlt heute. In den Bildungsplänen für Kindertagesstätten ist das Problem, dass der Schwerpunkt sehr auf die Bildung gelegt wird und nicht mehr auf das Spielerische. Dabei ist das in diesem Alter das Wichtigste, so lerne ich die Welt kennen und entwickle mich.
Welche Vorteile hat denn die Handschrift überhaupt?
Müller: Lernen hat viel mit Schreiben zu tun. Und gerade mit einer Schreibschrift kann man besser lernen als mit Druckschrift. Es ist bewiesen, dass der Lerneffekt mit einer verbundenen Handschrift mit Richtungsänderungen höher ist. Mit einer verbundenen Schrift ist man auch schneller als mit einer Druckschrift, bei der man jeden Buchstaben neu ansetzen muss. Und es hat auch was mit Wertigkeit zu tun - etwa eine handgeschriebene Karte statt einer SMS.
Literatur:
„Ist unsere Handschrift noch zu retten?“ - Beitrag von Stephanie Müller im Kompendium „Sind wir noch zu retten? Bildung und Erziehung. Probleme. Analysen. Perspektiven“, erschienen im Domino Verlag zum 50-jährigen Bestehen, 17,50 Euro, 210 Seiten, ISBN-13: 978-3-926123-18-3