Ein Stück Hoffnung: Vom Flüchtling zum Schreiner-Azubi
Tettnang (dpa) - Omar Ceesay geht durch die Halle der kleinen Schreinerei und grüßt seine Kollegen. Ein Handschlag hier, ein lautes „Hallo“ dort. Die meisten Mitarbeiter kennen seine Geschichte und wissen, was für ein Weg hinter dem 28-Jährigen liegt: Omar ist geflüchtet.
Aus dem afrikanischen Gambia über Libyen und Italien an den Bodensee - viele Monate war er unterwegs. „Das hat Kraft und Energie gekostet“, sagt er. „Ich habe zwischendurch keine Zukunft mehr gesehen.“ Doch am Ende des Weges stand das sprichwörtliche „Happy End“: Omar macht jetzt eine Ausbildung zum Schreiner bei der Firma Hollitsch in Tettnang am Bodensee.
„Es war eine Zitterpartie, ob das überhaupt klappt“, sagt Geschäftsleiter Alexander Lanz. Zwar hatte sich Omar unter fünf Bewerbern als Azubi durchgesetzt und „das Bauchgefühl war gut.“ Doch weder das Unternehmen noch Omar hatten die bürokratischen Hürden vorhergesehen, die der Flüchtling bis zu seiner Lehre nehmen musste. Denn der 28-Jährige war einige Monate nach seiner Ankunft im baden-württembergischen Wilhelmsdorf zunächst wieder nach Italien abgeschoben worden. Dort erhielt er zwar eine Aufenthaltserlaubnis. Doch nach der Abschiebung durfte er eigentlich erst mal nicht wieder nach Deutschland zurück.
Für Omar folgte banges Warten in Italien, bis sein Visum für Deutschland genehmigt wurde. Das Dokument bekam er wenige Tage vor seinem Ausbildungsbeginn - bis dahin wusste auch die Schreinerei nicht, ob ihr Lehrling anfangen konnte. Solche Planungsunsicherheiten hielten viele Firmen davon ab, Flüchtlinge als Auszubildende einzustellen, sagt Elmar Häusler von der Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee. Zwar sei das Interesse da. „Aber das ist neben der Sprachbarriere ein großer Hinderungsgrund.“
Ähnlich argumentiert der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Achim Dercks. „Wir benötigen eine richtige 3+2-Regelung, um Betrieben und jungen Flüchtlingen Sicherheit zu geben“, sagt er. Wer eine dreijährige Ausbildung absolviere, dürfe nicht abgeschoben werden - und auch nach der Lehre sollten die jungen Fachkräfte für mindestens zwei Jahre weiter beschäftigt werden dürfen.
Wie viele Flüchtlinge bislang bundesweit in eine Ausbildung vermittelt wurden, lässt sich nicht genau beziffern. „Das wird in der Statistik nicht erfasst“, sagt ein Sprecher des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). Auch beim DIHK gibt es keine konkreten Daten. „Das Thema ist aber in jedem Fall wichtig“, sagt Dercks. Denn es gebe zehntausende freie Stellen für das eben erst begonnene neue Ausbildungsjahr - und ein Viertel der Asylbewerber sei im Ausbildungsalter zwischen 16 und 25 Jahren.
Omar liegt mit seinen 28 Jahren sogar noch etwas darüber - mit viel Glück klappte die Ausbildungsvermittlung aber. Dazu beigetragen hat vor allem ein Ehepaar in Wilhelmsdorf, dass ihm wieder und wieder geholfen hat: Während der ersten Monate in der Flüchtlingsunterkunft. Während der Abschiebung nach Italien, bei der Beantragung des Visums. Und vor allem halfen sie zusammen mit der Handwerkskammer Ulm dabei, für Omar einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Sein Status lautet jetzt: Gambischer Staatsbürger, mit Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen in Italien und einem Visum für Deutschland.
„Bis so ein Visum endlich da ist, das glaubt keiner“, sagt Franz Mayer. Der Einsatz für Omar hat den Rentner und seine Frau Gabriele mehrfach an ihre Grenzen geführt. „Jetzt, wo Omar anfängt zu arbeiten, gehe ich erst mal vier Wochen in den Urlaub.“
Über 17 000 Asylbewerber kamen allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres nach Baden-Württemberg, davon stammen 10 Prozent aus Gambia. Nur aus dem Kosovo (26,4 Prozent) und aus Syrien (10,4 Prozent) kamen mehr Menschen. Aber warum ist Omar geflüchtet? Der junge Mann bleibt eine Weile still, bevor er spricht. Er sei wegen einer Nichtigkeit von der Polizei schikaniert und festgenommen worden, sagt er dann. Drei Tage bleibt er im Gefängnis, bevor er mit gebrochenem Arm und einer Meldepflicht wieder herauskommt. Jeden Tag muss Omar zur Wache, um seine Unterschrift abzugeben. „Manche kommen nicht wieder zurück“, sagt er und wischt sich mit der Hand über die Augen.
Gambia zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Seit einem Putsch 1994 ist Präsident Yaya Jammeh an der Macht. In den vergangenen Jahren wurde die Menschenrechtslage in Gambia international oft scharf kritisiert. „Es gibt keine Freiheit“, sagt Omar. „Du musst entweder still sein oder du stirbst.“ Der 28-Jährige wählt einen dritten Weg: Er flüchtet über Mali durch die Wüste nach Libyen. Dort versucht er monatelang, Geld für die Überfahrt nach Europa zu verdienen. „Manchmal haben sie uns alles, was wir an einem Tag verdient haben, geklaut“, sagt er. 1200 Dinar - rund 800 Euro - zahlt er schließlich dafür, zusammen mit 64 Menschen über das Mittelmeer zu fahren. Über die Zustände auf dem Schiff will Omar nicht viel sagen. „Es war eng.“
Heute hat der 28-Jährige eine kleine Wohnung in der Nähe der Schreinerei gemietet, er lernt Deutsch, spielt im Fußballverein des Dorfes. „Es war eine harte Zeit“, sagt er. „Aber ich sehe wieder eine Zukunft.“