Fechten ist Pflicht? Burschenschaft-Regeln und Rituale

Gießen (dpa/tmn) - Das Angebot klingt verlockend: Zimmer in Altbauvilla, zentrale Lage, Pool im Garten, Telefon- und Internetflat inklusive. Das Ganze zum Schnäppchenpreis. Mit solchen Offerten werben Burschenschaften und Studentenverbindungen zum Semesterstart um Erstsemester.

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Ein Traum, dürfte mancher denken - gerade in Zeiten, wo bezahlbare Zimmer für Studenten vielerorts Mangelware sind. Doch worauf lassen sie sich dabei ein? Das sei wie der Griff in eine Wundertüte, sagt die Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth von der Universität Gießen, die sich seit Jahren mit dem Thema befasst. Denn die Bandbreite sei groß. Einerseits gebe es liberalere Verbindungen, in denen es „fast WG-ähnlich“ zugeht. „Auf der anderen Seite kann es einem aber auch passieren, dass man in einer rechtsextremen Organisation landet.“

Was Studienanfänger über Studentenverbindungen wissen müssen:

Kein Einlass ohne Schmiss?

Stimmt so nicht. Zwar gehört bei Burschenschaften oft das Fechten dazu. Und bei der sogenannten Mensur kann Neulingen auch die Narbe, der Schmiss, verpasst werden. Es gibt aber auch nicht-schlagende Gruppen. Katholische Verbindungen etwa fechten grundsätzlich nicht, erklärt Richard Weiskorn vom Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV).

Frauen müssen draußen bleiben?

Es gibt auch gemischte Gruppen und sogar reine Frauenverbindungen. Die sind allerdings nicht automatisch liberaler, erklärt Kurth. Und sie sind klar in der Minderheit: Bei vielen Burschenschaften sind Frauen auch im 21. Jahrhundert nur als Gäste willkommen.

Geht es da nur ums Saufen?

Die Verbindungen werben damit, Gemeinschaft und Kameradschaft zu bieten. So fänden junge Menschen schnell Anschluss, erklärt Weiskorn. „Leben in einem Freundschaftsbund“, nennt der Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) das. So etwas könne durchaus attraktiv sein für junge Menschen, die als Studienanfänger völlig allein in eine fremde Stadt kommen, erläutert Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk in Berlin. In so einer Situation böten Verbindungen Halt und Orientierung.

In geselliger Runde wird dann gesungen - und oft auch „heftig getrunken“, sagt Kurth. Zwar gebe es einige Verbindungen, die hier das Prinzip der Mäßigkeit vorgeben. Bei anderen spielen Trinkrituale dagegen eine große Rolle. „Das geht bis hin zum Zwang zum Biertrinken“, sagt Grob. Neulinge sollten laut Kurth darauf achten, ob sie ihre Zimmertür verschließen dürfen. Teilweise ist das nicht möglich. Das sei oft ein Zeichen dafür, dass sich Neulinge mitunter exzessiven Ritualen unterziehen müssten.

Farben tragen ist Pflicht?

Einige Verbindungen sind farbentragend - von Mitgliedern wird also erwartet, eine Schärpe und eine Mütze mit den Farben der Verbindung anzuziehen. Andere verzichten darauf.

Sind die alle rechts?

Ganz so einfach ist es nicht. Die Verbindungen und Burschenschaften in Deutschland sind seit langem tief gespalten in einen rechtskonservativeren und einen liberaleren Flügel. In der jüngeren Vergangenheit hat es weitere Abspaltungen gegeben: So sind zahlreiche Bünde aus dem Verband der Deutschen Burschenschaft ausgetreten. Ein neuer Dachverband nimmt Ende September die Arbeit auf. Ein Streitpunkt dabei: der Nachweis deutscher Abstammung für Mitglieder, den einige Burschenschaften nach wie vor verlangen, erklärt Kurth. Die DB weist aber Vorwürfe zurück, nach denen sie als extrem oder rassistisch bezeichnet werden könne.

Ist das ein Bund fürs Leben?

Neulinge, die „Füchse“, werden in der Regel zunächst auf Probe aufgenommen. Danach wird erwartet, dass Mitglieder ihrer Verbindung ein Leben lang treu bleiben. Ein Ausstieg ist prinzipiell möglich, in der Praxis aber nicht so einfach, hat Kurth beobachtet. „Da wird teilweise Druck ausgeübt, bis hin zu Telefonterror.“

Ist das die Eintrittskarte in einen Eliteclub?

Das Ambiente macht den Eindruck: Der gewöhnliche Student lebt in einer WG, der Burschenschafter in einer Villa. Manche Verbindungen bieten dazu noch Putzfrau und Koch, erzählt Kurth. „Das ist schon Luxus.“ Außerdem werden Studenten eigene Seminare angeboten, etwa zum Bewerbungstraining oder Zeitmanagement, ergänzt Weiskorn.

Viele versprechen sich daher einen Karrierekick durch die Mitgliedschaft. Stefan Grob hält das nicht für unrealistisch. „Die sind hervorragend vernetzt. Man erhält dadurch Kontakte, die man sich sonst erst erarbeiten muss“, sagt er. Die Frage sei nur, welche Kontakte das sind. „Man muss sich fragen: Will ich dahin?“

Kurth ist eher skeptisch bei der Frage, ob Burschenschafter Karrierevorteile haben. „In den 60ern konnte man das noch bejahen.“ Heute könne die Mitgliedschaft einem auch Nachteile einbringen. „Die Seilschaften sind immer noch da“, sagt sie. „Aber ein Ticket in die Chefetage bedeutet das nicht automatisch.“ Nicht zuletzt können die Gemeinschaftsaktivitäten auch zulasten des Studiums gehen, ergänzt Kurth. „Die Zeit fürs Fechten fehlt ja beim Lernen.“