Immer mehr deutsche Schüler lernen Chinesisch
Bonn (dpa) - China ist auf dem Vormarsch. An deutschen Schulen wird zunehmend Chinesisch als Fremdsprache unterrichtet. Auch beruflich werden Kenntnisse wichtiger: Vielleicht ist der spätere Chef mal Chinese.
„Women shangkele!“ - „Wir beginnen mit dem Unterricht!“ Bei Lehrerin Shen Yong Miklitz stehen heute Alter und Jahreszahlen auf dem Programm. Der Reihe nach fragt sie ab: „Ni duoda?“ („Wie alt bist Du“?). Die 13 Schülerinnen und Schüler in der Oberstufenklasse am Bonner Helmholtz-Gymnasium antworten rasch, auch wenn mancher noch mit der fremden Aussprache kämpft.
Das Gymnasium gehört mit seinem Angebot an Chinesisch als reguläres Abiturfach in Deutschland zu den Pionieren. Die weltweit meistgesprochene Muttersprache kann hier in der Oberstufe seit drei Jahren gewählt werden. Schulleiter Martin Berg ist zufrieden: „Die Nachfrage ist jedes Jahr gestiegen, nach zehn und 13 sind es in diesem Jahr bereits 19 Schüler.“
Ein Fünftel der Menschheit, etwa 1,3 Milliarden Menschen, sprechen Chinesisch. Nicht nur in China, sondern auch in Taiwan und in Südostasien. Wegen der immer größeren Rolle Chinas in einer globalisierten Welt wird Chinesisch immer wichtiger.
Nach aktuellen Daten der Kultusministerkonferenz (KMK) gibt es an deutschen Schulen immer mehr Angebote für Chinesisch, mancherorts auch schon an Grund- und Realschulen. Doch verglichen mit Englisch, Französisch, der „toten Sprache“ Latein und dahinter auch Spanisch, Russisch oder Italienisch ist die Zahl der Chinesisch-Lernenden noch minimal.
„Der rasant wachsenden Bedeutung Chinas sowohl politisch wie wirtschaftlich sollte auch mit Chinesisch in der Schule schon Rechnung getragen werden“, erklärt Schulleiter Berg. Das Angebot habe auch einen „hohen Bildungswert“, da China eine große historische Kultur habe. „Wir lernen hier nicht nur die Sprache, sondern auch Landeskunde, Geschichte, Kultur und Politik und machen auch einen Schulaustausch“, betont die aus China stammende Lehrerin Shen Yong Miklitz.
Exotische Gründe wie Kungfu oder Fengshui sind es nicht, die Schüler nennen, wenn sie über ihre Motivation sprechen. Eher ist es eine allgemeine Ahnung, „dass China immer wichtiger für uns wird“. Der 18-jährige Alexander Leisten: „Ich will Chinesisch im Studium mit Volkswirtschaft kombinieren und als Berufsziel Manager oder Diplomat anpeilen.“
Hunderte deutsche Unternehmen sind in China vor Ort. Sie suchen ständig Personal, das sich in Sprache und Kultur auskennt. In Deutschland wächst die Zahl ansässiger chinesischer Firmen rasant: Laut einer Studie des German Center for Market Entry (Berlin) gibt es schon rund 2000.
Eine Nachfrage nach Chinesisch beobachtet die Sprecherin des Fachverbandes Chinesisch, Christina Neder, aus eigener Erfahrung: „Firmen mit Bezug zu China, etwa aus der Tourismusbranche oder dem Handel werben inzwischen gezielt um Schüler, die schon an der Schule Chinesisch gelernt haben.“ Neder unterrichtet Chinesisch als Sinologin an der Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Dortmund.
Gelernt wird neben der gemeinsamen Schrift als gesprochenes Chinesisch die Standard-Hochsprache (Putonghua), die weitgehend auf dem Pekinger Dialekt basiert und früher im Westen und Südostasien auch als „Mandarin“ (Sprache der früheren kaiserlichen Beamten) bezeichnet wurde. Gemeinhin gilt Chinesisch als schwierige Sprache. Dem ist aber kaum so, wenn man am Anfang die Aussprache mit den vier Tönen und die Schriftzeichen paukt. Ansonsten bietet die Sprache wenig Tücken, es gibt keine grammatischen Finessen und keine komplizierten Konjugationsformen.
Die Sprache sei zu bewältigen, „wir hatten es uns schwerer vorgestellt“, meint die Helmholtz-Klasse übereinstimmend nach einem Jahr Unterrichtserfahrung. „Es ist eine Sache der Disziplin“, betont Alexander Leisten. „Wer mehrfach in der Woche übt, hat keine Probleme.“ Und Mitschülerin Hannah Geisen (17) ergänzt: „Wenn man mal von den Schriftzeichen absieht, ist es sogar einfacher als Englisch.“
Nach der KMK-Erhebung gab es im Schuljahr 2010/2011 mindestens 232 Schulen, die Chinesisch als Fremdsprache im Unterricht oder in einer AG anbieten. Im Vergleich zu einer Erhebung vor vier Jahren erhöhte sich diese Zahl um 45 Prozent. Die von der KMK genannten Zahlen von „mindestens 5800 Schülern“ hält Fachverbands-Sprecherin Christina Neder für deutlich zu niedrig. „Es sind viel mehr, schätzungsweise etwa 10 000 bis 15 000 Schüler.“
„Für Chinesisch als 2. oder 3. Fremdsprache haben sich aktuell allein in Nordrhein-Westfalen etwa 1000 bis 1300 Schüler an mindestens 15 Gymnasien oder Gesamtschulen entschieden“, berichtet Neder. Damit sei NRW bundesweit Spitzenreiter vor Berlin.