Neues Stipendium: Uni verschenkt Auszeit vor dem Studium
Witten (dpa) - Erst das Turbo-Abi, dann das Studium in Regelstudienzeit. Stress pur schon vor dem ersten Job. Die Uni Witten/Herdecke vergibt nun ein Stipendium, das zeigt: Es geht auch anders.
In jungen Jahren eine richtige Auszeit zu nehmen ist eigentlich nicht drin. Das Bildungsmotto der meisten Schüler und Studenten heißt heute: Höher, schneller, weiter. Ein Stipendium der Universität Witten/Herdecke zeigt nun, dass es auch anders geht: Die private Hochschule finanziert pro Jahr drei „Pfad.finder“-Stipendiaten ein Projektjahr. Sie werden mit 700 Euro im Monat gefördert, um zwischen Schule und Studium eigene Ideen verwirklichen zu können. Mit Xenya Veber stellte die Uni kürzlich die erste Stipendiatin vor - sie hat sich gegen 70 andere Bewerber durchgesetzt.
Die 25 Jahre alte Xenya Veber bekommt nun die Möglichkeit, ihr Projekt umzusetzen: Sie wird ein Jahr lang immer wieder in ihr Geburtsland Kasachstan reisen und einen Roman über ihre verstorbene Mutter schreiben. „Ich darf jetzt ein Jahr Schriftstellerin sein. Davon habe ich lange geträumt“, sagt sie.
Jungen Menschen mehr Freiheiten für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu bieten, darum gehe es, sagt Jan Peter Nonnenkamp, Kanzler der Universität Witten/Herdecke. Daher habe die Uni gemeinsam mit dem Verein „StudierendenGesellschaft“ beschlossen, das durch externe Spenden finanzierte Stipendium auf den Weg zu bringen.
Die Geschichte von Xenya Veber aus Bamberg in Bayern bewegt: 1998 kam sie im Alter von acht Jahren mit ihrer Mutter und dem Stiefvater nach Süddeutschland, bekam einen kleinen Bruder. Die 25-Jährige erinnert sich noch an die schwere Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die ihre Eltern nach Deutschland geführt hat: „Damals gab es nichts in Kasachstan. Den Fernseher haben wir damals mit Hilfe der Autobatterie betrieben. Viele junge Leute sind damals weggegangen.“
Als sie 15 war, starb ihre Mutter mit nur 35 Jahren an Krebs. Ein Ereignis, das sie auch heute noch stark beschäftigt: „Der Tod der eigenen Mutter ist nichts, was man überwindet. Man trägt es in sich.“ Mit dem Projekt will sie das Leben ihrer Mutter aufarbeiten und in einem Roman festhalten. „Ich möchte von ihren Wünschen erzählen, von denen viele nicht in Erfüllung gegangen sind. Und ich möchte zeigen, wie es ist, ein Land mit nichts als drei Koffern zu verlassen und ein neues Leben zu starten.“
„Die Universität sieht in dem Stipendium einen Beitrag zur Entschleunigung des Bildungssystems“, sagt Nonnenkamp. Mehr Freiheiten und Zeit für Studenten findet auch Monika Sieverding, Professorin für Psychologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, wichtig. Sie sagt, die Spielräume für Entscheidungen seien heute in den verschulten Bachelor- und Masterstudiengängen geringer. Zu viel Stress im Studium wirke sich aber auf die psychische und die physische Gesundheit aus. „Zu einem Studium gehört auch die Entwicklung der Persönlichkeit und nicht nur das Erlernen von Fakten.“
Vebers erste Reise nach Kasachstan steht bereits im August an. Drei Wochen lang wird sie mit Verwandten, Freunden und früheren Nachbarn ihrer Mutter sprechen und Eindrücke sammeln. Xenya Veber ist froh um die Zeit, die die Uni ihr schenkt: „In einer Leistungsgesellschaft muss man eigentlich etwas leisten, um dafür etwas zu bekommen. Hier bekomme ich etwas, um etwas leisten zu können.“ Nach dem Projekt möchte die Bambergerin Theaterwissenschaft und Philosophie studieren - wo genau, weiß sie noch nicht.