Plötzlich Lehrer: Per Seiteneinstieg ins Klassenzimmer

Meerbusch (dpa/tmn) - Vom Büro ins Klassenzimmer? Klingt ungewöhnlich, ist aber möglich. Denn viele Schulen stellen Seiteneinsteiger ein. Doch der Wechsel ins Klassenzimmer ist nicht leicht: Es braucht Mut - und den richtigen Studienabschluss.

Halbtags arbeiten, lange Ferien und dazu ein sicheres Einkommen: Eigentlich klingt der Lehrerberuf verlockend. Trotzdem gibt es Schulen, die händeringend Personal suchen. Immer wieder werden deshalb auch Seiteneinsteiger eingestellt. Unter den 30 601 neu eingestellten Lehrern an deutschen Schulen waren 2011 rund 1437 Seiteneinsteiger, so die Statistik der Kultusministerkonferenz (KMK). Das waren 4,7 Prozent. Doch wie gelingt der Sprung ins Klassenzimmer?

Einer, der es geschafft hat, ist der studierte Germanist Philipp Erbslöh. Seit zwei Jahren unterrichtet er an einer Hauptschule in Meerbusch bei Düsseldorf. Bereits während des Studiums jobbte er im Bildungsbereich. „Ich habe damals Stadt- und Kirchenführungen gemacht“, erzählt er. Nach seinem Abschluss 2007 machte er freiberuflich weiter. Irgendwann fasste er dann den Entschluss, es richtig als Lehrer zu versuchen.

Seiteneinsteiger wie Erbslöh müssen sich direkt bei den Schulen für unbesetzte Stellen bewerben. Mindestvoraussetzung ist fast überall ein Hochschulabschluss. Lediglich Mecklenburg-Vorpommern macht eine Ausnahme. Hier reicht es aus, wenn die Ausbildung eine „ausreichende Grundlage für die Tätigkeit“ bietet. Dazu brauchen Seiteneinsteiger meist mehrere Jahre Berufserfahrung. „Es scheint so, dass dadurch verhindert werden soll, dass der Lehrerberuf zum Auffangbecken für Gescheiterte wird“, sagt Christian Reintjes, Bildungsforscher an der Ruhr-Universität Bochum.

Doch Berufserfahrung und Hochschulabschluss allein reichen nicht aus: Die Berufswechsler müssen vor allem das richtige Fach studiert haben. „Seiteneinsteiger werden nur eingestellt, wenn es gar keine Bewerber mit abgeschlossener Lehrerausbildung gibt“, erklärt Norbert Schulze vom Institut für Lehrerbildung Brandenburg. Das ist derzeit meist nur in den MINT-Fächern der Fall, also in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Geistes- oder Sprachwissenschaftler sind dagegen kaum gefragt.

„Wenn man Germanistik studiert hat und vielleicht noch Geschichte, hatte man dieses Jahr keine Chance“, berichtet Corinna Fischer vom niedersächsischen Kultusministerium. In Niedersachsen wurden 2012 rund 60 Seiteneinsteiger eingestellt. Fast alle von ihnen hatten einen Abschluss in den Fächern Physik und Chemie.

Der Germanist Erbslöh ist mit seinem Studienfach unter den Umsattlern also eher die Ausnahme. Typisch ist dagegen, dass er an einer Hauptschule unterrichtet. Denn die Personalprobleme sind an den verschiedenen Schulformen unterschiedlich groß. Kaum Personalprobleme gebe es an Gymnasien, sagt Schulze vom Institut für Lehrerbildung Brandenburg. Gesucht seien Seiteneinsteiger dagegen an Berufs- und Hauptschulen. Auch Grundschulen hätten immer öfter Bedarf.

Wer sich für einen Seiteneinstieg zum Lehrer interessiert, kann auf der Internetseite „cct-germany.de“ einen Selbstassessment-Test machen, empfiehlt Christian Reintjes. „Das ist eine Plattform für Lehramtsstudenten, Referendare und bereits tätige Lehrer. Seit neuestem gibt es auch ein Tool speziell für Seiteneinsteiger.“ Welche Stellen gerade wo frei sind, finden Umsattler am schnellsten im Internet heraus, meist direkt auf den Seiten der Kultusministerien.

Wer von der Schule genommen wird, sollte sich aber auf eine harte Zeit gefasst machen. In der Regel halten Seiteneinsteiger vom ersten Tag an eigenverantwortlich Unterricht. Meist haben sie dabei deutlich mehr Stunden als die Referendare. „Wir haben volle Stellen“, erzählt Erbslöh. Eigentlich muss er pro Woche 28 Unterrichtsstunden halten. Da er parallel dazu die Ausbildung stemmt, wurde die Zahl auf 22 Stunden reduziert.

Zwei Jahre lang besucht er zusammen mit den Referendaren neben dem Unterricht berufsbegleitend Kurse. Auf dem Stundenplan stehen etwa Pädagogikseminare. Dann kommt das Zweite Staatsexamen.

Doch der Aufwand lohnt sich: Wer die Umschulung meistert, wird meist mit einem sicheren Job belohnt. Nach dem Staatsexamen winkt oft eine fristlose Anstellung. Und wer jung genug ist, kann sogar noch verbeamtet werden. Die Altersgrenze liegt etwa in Nordrhein-Westfalen bei 40 Jahren.