Suche Zimmer, biete Arbeit: Wie Studenten eine Unterkunft finden
Tübingen (dpa) - In einer Unistadt eine kleine Wohnung zu suchen, kann frustrierend sein. Es sei denn, man ist bereit, Rasen zu mähen oder Kinder zu hüten - dann kann das Projekt „Wohnen mit Hilfe“ die Lösung sein.
Der doppelte Abiturjahrgang und Berichte über Wohnungsknappheit und Notunterkünfte hatten ihn eingeschüchtert: Als der Studienanfänger Marvin Mesenbrock sich nach einem Zimmer in Tübingen umsah, nutzte er typische Angebote wie die Onlineplattform „WG-gesucht“ erst gar nicht. Es erschien ihm „utopisch“, sich kurz vor Semesterbeginn im Konkurrenzkampf um bezahlbare Zimmer in Wohngemeinschaften gegen Dutzende Mitbewerber durchzusetzen. Eine andere Lösung musste her.
Jetzt wohnt der 20-Jährige in einem Gartenhäuschen mit Blick über die ganze Stadt. Das Häuschen ist frisch saniert und möbliert und verfügt über Küche, Bad und eine Fußbodenheizung. Kostenfaktor: 200 Euro im Monat plus Nebenkosten. Seine luxuriöse Wohnsituation verdankt Mesenbrock dem Projekt „Wohnen mit Hilfe“.
Etwa 20 Stunden im Monat arbeitet der Student im Garten von Charlotte Blessing und ihrem Mann Reinhard Schmid, betreut ihre sechs- und neunjährigen Söhne bei den Hausaufgaben oder kocht. Über Bekannte hatte die Familie von „Wohnen mit Hilfe“ erfahren und war begeistert. „Wir haben damals eine Lösung gesucht für das denkmalgeschützte Gartenhäusle und wollten Unterstützung für die Kinder“, sagt Schmid.
Das Projekt „Wohnen mit Hilfe“ gibt es in allen größeren Unistädten. Freiburg und Köln sind Spitzenreiter, doch auch in Tübingen wird die Initiative gut aufgenommen: 23 Wohn-Partnerschaften gibt es bisher, noch vor einem Jahr waren es bloß fünf. Zunächst war das Projekt auf Senioren beschränkt, die leerstehende Zimmer im Tausch gegen Erledigungen, Vorlesen oder Begleitung bei Spaziergängen anbieten. „Das lindert die Einsamkeit, die viele Menschen heute im Alter erleben - und die Wohnungsknappheit unter Studenten“, sagt Claudia Stöckl vom Roten Kreuz, das die Wohn-Partnerschaften in Tübingen mit dem Studentenwerk, dem Landkreis und weiteren Trägern organisiert.
Charlotte Blessing freut sich, die Wohnungsnot mindern zu können. Doch vor allem freut sie sich über das neue Familienmitglied. „Marvin passt zu uns, da wurde auch im Vorfeld vom Roten Kreuz viel Wert drauf gelegt“, sagt die 47-Jährige. Leicht war es für Claudia Stöckl nicht, jemanden für die Familie zu finden. Denn die wollte einen jungen Mann mit handwerklichen Fähigkeiten, in Stöckls Büro gehen aber zu 90 Prozent Bewerbungen von Frauen ein. Die meisten studieren Pädagogik, Theologie und Psychologie.
Für Mesenbrock war „Wohnen mit Hilfe“ die richtige Wahl, um eine Unterkunft zu finden. In Dresden, wo er für ein Freiwilliges Politisches Jahr war, hat er negative Erfahrungen mit Wohngemeinschaften gemacht, ist innerhalb eines Jahres dreimal umgezogen. Mit Familie Blessing-Schmid versteht er sich gut, er hatte auch schon Freunde zu Besuch, die gemeinsam mit der Familie und ihm im Wohnzimmer saßen. Aber wenn er einmal seine Ruhe haben will, kann er sich in sein Häuschen zurückziehen und beim Blick über Tübingen laut E-Gitarre spielen - ungestört und ohne jemanden zu stören.