Praxisschock vermeiden: Anti-Stress-Tipps für Lehrer in spe

Frankfurt/Main (dpa/tmn) - Jahrelang arbeiten Lehramtsstudenten darauf hin, unterrichten zu dürfen. Trotzdem bekommen viele einen Praxisschock, wenn sie ins Referendariat gehen. Mit einem guten Netzwerk und regelmäßigen Auszeiten lässt sich der Schuleinstieg meistern.

Viele sagen hinterher: Es war die stressigste Zeit meines Lebens. Jedes Jahr machen laut der Lehrergewerkschaft GEW rund 55 600 Lehramtsstudenten ihr Referendariat. So mancher mutiert in den anderthalb bis zwei Jahren Vorbereitungsdienst zum Nervenbündel. Denn Überstunden, ständige Bewertungen und der Umgang mit Schülern überfordern viele. Um am Ende erfolgreich abzuschließen, sollten Referendare sich von Anfang an mit Vertrauenspersonen austauschen - und sich regelmäßig kleine Auszeiten gönnen.

Stephanie von Keitz aus Fulda kann vom Stress im Referendariat ein Lied singen. An ihren Vorbereitungsdienst an einer Haupt- und Mittelschule denkt sie ungern zurück. „Ich hatte für nichts anderes mehr Nerven“, sagt die 36-Jährige. In dieser Zeit habe sie sogar am Wochenende und in den Ferien für die Schule gearbeitet. Selbst mit einem guten Zeitmanagement sei das Pensum kaum zu schaffen gewesen. „Die Wochenenden und einige schlaflose Nächte mitgerechnet, kam ich auf 60 Stunden in der Woche.“

Kurze Entspannungsphasen habe es selten gegeben. „Mein Arbeitsalltag war hart: Elf Stunden regulärer Unterricht in der Woche, fünf Stunden Hospitationen, dazu Vertretungen sowie Unterrichtsvor- und Nachbereitung“, erinnert sich die junge Frau. Dazu kamen Treffen mit den Mentoren und Elternabende. So hatte sie sich den Job als Lehrer nicht vorgestellt.

Juristen, Ingenieure, Ärzte: Für fast jeden ist der Berufseinstieg stressig. Dass ausgerechnet die Lehramtsstudenten so laut klagen, komme jedoch nicht von ungefähr, sagt Marianne Demmer, Vize-Bundesvorsitzende der GEW in Frankfurt. Denn immer noch werde im Studium vor allem Theorie vermittelt. Von der schulischen Realität bekommen viele an der Uni nicht genug mit. So merkten viele Lehramtsstudenten erst während des Referendariats, dass sie zum Beispiel Schwierigkeiten haben, vor einer Klasse zu sprechen.

Zusätzlich zehrten die ständigen Bewertungssituationen an den Nerven. Das kann auch Ex-Referendar Jan-Martin Klinge aus Siegen bestätigen. Er habe der Prüfungskommission zehnmal im Jahr einen perfekten Unterricht zeigen müssen. Ging etwas schief, kamen bei ihm schnell Existenzängste auf.

Demmer rät allen Referendaren, Probleme nicht in sich hineinzufressen. „Darüber reden ist wichtig - mit dem Mentor und anderen Lehrern an der Schule, dem Seminarleiter an der Uni oder einem Professor, zu dem man einen guten Kontakt hat.“ Haben Referendare einen Kreis an Vertrauenspersonen um sich herum, ist es für sie leichter.

Zudem biete die GEW Stammtische für Lehrer an. Dort treffen sich Berufskollegen zum Erfahrungsaustausch. Angehende Lehrer könnten sich dabei von älteren Kollegen Tipps holen, so Demmer.

Damit der Praxisschock nicht zu groß wird, sollten Lehramtsanwärter zudem rechtzeitig vorbeugen. An besten sei es, in den Semesterferien möglichst viele Praktika zu machen, rät Klinge. Das sei zwar oft nicht leicht zu organisieren. Die Schulen seien von Praktikanten und Referendaren häufig überlaufen. Stattdessen könnten Lehramtsstudenten jedoch ehrenamtlich in Kinder- und Jugendgruppen arbeiten. „So lernt man schnell, mit Jüngeren umzugehen und ihnen etwas beizubringen.“

Während des Referendariats helfe vor allem der Kontakt mit Gleichgesinnten, sagt Demmer. „An den meisten Schulen gibt es mehrere Referendare. Im Gespräch mit den anderen stellt sich schnell heraus, dass jeder Probleme hat.“ Sich gegenseitig zu helfen, gebe Selbstvertrauen - und bringe vor allem Gelassenheit.

Doch auch zu Hause müssen Referendare einiges tun, damit der Stress im Job nicht überhandnimmt, sagt Chris Tamdjidi, Karriereberater aus Bergisch Gladbach. Viele Lehramtsstudenten sind nach einem langen Tag in der Schule durch die Aufregung total aufgekratzt. In solchen Situationen sollte man erst einmal versuchen, am Feierabend herunterzukommen. Das gelinge am besten, wenn Referendare sich zu Hause bewusst 15 Minuten lang entspannt an den Tisch setzen und etwa einen Kakao trinken. Das sei simpel - aber es genüge häufig schon, um zu entschleunigen.

Zudem sollten Referendare trotz des großen Stresses ihre sozialen Kontakte nicht vernachlässigen. Auch wenn sich dafür nur einmal in der Woche Zeit finde, sei es eine Abwechslung und könne neue Kraft für die nächsten Aufgaben geben, sagt der Experte. Wer Mühe hat, sich an diese kleinen Auszeiten zu halten, könne sie sich dick in den Kalender eintragen, damit keine anderen Termine dazwischenkommen. Das sei eine Hilfe, damit es nicht bei den guten Vorsätzen bleibt.