Viele Arbeitgeber ignorieren das Thema Pflege

Frankfurt/Main (dpa) - Kurz vor Inkrafttreten des Familien-Pflegegesetzes schlägt eine Stiftung mit einer Studie zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege Alarm. Das Gros der Arbeitgeber hat sich danach noch nicht mit dem Thema befasst.

Die meisten Unternehmen in Deutschland befassen sich einer Studie zufolge nicht damit, dass immer mehr Berufstätige neben ihrer Arbeit noch Angehörige pflegen. „62 Prozent der deutschen Arbeitgeber ignorieren bislang das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Pflege“, lautet das Ergebnis der repräsentativen Befragung der GfK-Marktforschung im Auftrag der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, die am Dienstag (6. Dezember) in Frankfurt vorgestellt wurde. Sie ist nach Angaben der Stiftung die erste dieser Art.

Kurz vor Inkrafttreten des Familien-Pflegegesetzes Anfang 2012 können 71 Prozent der befragten Arbeitgeber keine betriebliche Maßnahme nennen, die es ihren Beschäftigten erleichtert, trotz der Pflege Angehöriger erwerbstätig zu bleiben. Rund 30 Prozent der 500 Arbeitgeber sehen die Verantwortung dafür sogar ausschließlich bei den Betroffenen und dem Staat. 80 Prozent glauben, es sei für ihren Betrieb zu teuer, ihre Arbeitnehmer in dieser Frage zu unterstützen. 85 Prozent halten dies für zu „organisationsintensiv“. 83 Prozent geben aber auch an, dass ihnen noch Tipps für die Umsetzung fehlen.

Voraussichtlich 3,4 Millionen Pflegebedürftige werde es im Jahr 2030 in Deutschland geben - fast genauso viele wie Kinder unter sechs Jahren, sagte der Geschäftsführer von berufundfamilie, einer Tochter der Hertie-Stiftung, Stefan Becker. „Die Brisanz dieses Thema ist nicht erkannt worden.“ Die „erschreckenden Ergebnisse“ ließen vielmehr befürchten, „dass die Unternehmen ins offene Messer laufen“ - wenn wichtige Mitarbeiter aufgrund von Pflege kurzfristig ausschieden - anstatt dies als Wettbewerbsvorteil zu verstehen.

Arbeitnehmer, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern, können nach dem neuen Gesetz ihre Arbeitszeit maximal zwei Jahre auf bis zu 15 Stunden pro Woche reduzieren. Wird die Wochenarbeitszeit dabei beispielsweise auf 50 Prozent halbiert, gibt es für die Dauer der Pflegezeit 75 Prozent als Vorschuss, der später wieder abgearbeitet werden muss. Die Studie belegt nach Ansicht des Vorstands der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, dass die gesetzliche Regelung der Familienpflegezeit „ein Flop“ wird. „Bei Unternehmen auf Freiwilligkeit zu setzen, denen die Sorgen von pflegenden Angehörigen fremd sind, geht an den realen Bedürfnissen der Betroffenen vorbei“, sagte er laut Mitteilung.

Ähnlich wie bei der Kinderbetreuung müssten Arbeitgeber ein vorausschauendes und systematisches Angebot aufbauen, forderte Becker. Sie könnten beispielsweise - wie die Polizei in Bremen oder der Flughafenbetreiber Fraport - einen Losten benennen, der Arbeitnehmern Tipps gibt, wenn ein Angehöriger pflegebedürftig wird. Wichtig sei es auch, wie die AOK Hessen pflegenden Mitarbeitern regelmäßig Seminare anzubieten, damit diese kompetent bleiben. In einigen Unternehmen spendeten auch Beschäftigte und Firma für Kollegen, die plötzlich Pflegeaufgaben übernehmen müssen. In anderen Betrieben - wie bei REWE - bieten ehemalige Beschäftigte ehrenamtlich Hilfe beim Einkaufen oder im Haushalt. Die Unterstützung dürfe nicht erst mit der Pflegestufe beginnen, mahnte Becker.

„Kinderbetreuung ist für die Arbeitgeber deutlich besser planbar als Pflege“, sagte Antje Becker von der Hertie-Stiftung. „Und je länger Pflege dauert, desto schwerer wird sie, während Kinderbetreuung immer leichter wird.“ Die Maßnahmen für die Arbeitgeber seien aber sehr ähnlich. „Es geht nicht darum, ein völlig neues Set an Maßnahmen zu entwickeln.“ Bei Telearbeit oder Arbeitsteilzeit etwa, ist es egal, ob eine Mutter oder Kinder zu Hause betreut werden.