Wenn Firmen pleite gehen: Insolvenzrecht für Mitarbeiter

Frankfurt/Main (dpa/tmn) — Jedes Jahr melden mehrere tausend Unternehmen Insolvenz an. Was bedeutet das für die Mitarbeiter? Fünf Fragen, die sich jeder Betroffene stellen sollte.

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Der Arbeitgeber meldet Insolvenz an? Das bedeutet, dass ein Unternehmen überschuldet ist, nicht mehr zahlen kann — oder kurz davor steht. 12 100 Firmen waren davon nach den Daten der Wirtschaftsauskunftei Creditreform im ersten Halbjahr 2014 betroffen. 96 000 Arbeitsplätze waren dadurch bedroht - oder gingen tatsächlich verloren. Betroffene Mitarbeiter haben eine Menge Fragen. Hier die fünf wichtigsten Antworten.

Wie schnell kommt die Kündigung?

Am Anfang steht ein vorläufiges Insolvenzverfahren. In dieser Zeit prüft ein vorläufiger Insolvenzverwalter, wie sich die Ansprüche der Gläubiger befriedigen lassen. „In dieser Phase gelten alle tariflichen und arbeitsvertraglichen Kündigungsfristen weiter“, sagt Andrej Wroblewski. Er ist Arbeits- und Insolvenzrechtsexperte der IG Metall in Frankfurt am Main. Wenn danach das eigentliche Insolvenzverfahren eröffnet wird, verkürzen sich längere Fristen auf drei Monate. Kürzere Fristen gelten weiter.

Expertentipp: Ein gesetzlicher Sonderkündigungsschutz bestehe weiterhin, betont Wroblewski. Das gelte zum Beispiel für Kündigungen im Mutterschutz, von Schwerbehinderten oder Betriebsratsmitgliedern.

Ist Insolvenz ein Kündigungsgrund?

Einen Kündigungsgrund „Insolvenz“ gibt es nicht. „Ohne triftigen Grund kann auch ein Insolvenzverwalter keine Kündigung aussprechen“, sagt Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Köln. Infrage kommen jedoch betriebsbedingte Kündigungen, zum Beispiel mangels Aufträgen oder bei Stilllegung eines Betriebsteils.

Expertentipp: Die Rechtslage ist kompliziert, betont Oberthür. Besteht vielleicht Anspruch auf einen anderen, freien Arbeitsplatz? Gab es eine Sozialauswahl? Handelt es sich beim Verkauf um einen Betriebsübergang, der den neuen Eigentümer zur Übernahme der Arbeitsverträge verpflichtet? „Arbeitnehmer sollten sich daher bei einer Kündigung in der Insolvenz sofort beraten lassen.“

Was ist mit Urlaubsansprüchen?

„Alle Ansprüche auf Urlaub und Urlaubsentgelt bleiben vor und während des Insolvenzverfahrens bestehen“, sagt Elke Trapp-Blocher. Das gelte auch für mögliche Abgeltungsansprüche für nicht genommene Urlaubstage, so die auf Arbeitsrecht spezialisierte Anwältin aus Stuttgart.

Expertentipp: Mitarbeiter können Urlaub wie gewohnt beantragen. „Passt der Urlaub in die betrieblichen Abläufe, gibt es keinen Grund für eine Ablehnung“, sagt die Expertin. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber den Urlaub vor dem Insolvenzantrag genehmigt hatte. Und wenn der Insolvenzverwalter den Urlaub wieder streicht? Dann bestehe vielleicht sogar Anspruch auf Ersatz der dadurch entstehenden Aufwendungen, zum Beispiel für Stornokosten einer gebuchten Reise.

Wer zahlt den Lohn?

Ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben Mitarbeiter Anspruch auf den vollen Lohn. „Dafür kann man den Insolvenzverwalter möglicherweise sogar haftbar machen“, sagt Nathalie Oberthür. Kommt es vorher schon zu Lohnausfällen, springe die Arbeitsagentur mit einem Insolvenzgeld ein. Das gibt es allerdings nur rückwirkend für die letzten drei Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dauert zum Beispiel das vorläufige Verfahren drei Monate, dann wären frühere Lohnausfälle vom Insolvenzgeld nicht gedeckt.

Expertentipp: Den Antrag auf Insolvenzgeld müssen Betroffene bei der Arbeitsagentur stellen, sagt Wroblewski. Da das nur rückwirkend ab Insolvenzeröffnung möglich ist, bieten vorläufige Insolvenzverwalter meist an, die Zahlung über eine Bank vorzufinanzieren. Dazu müssten Arbeitnehmer eine Abtretungserklärung unterschreiben. Sie bekommen ihren Lohn dann von der Bank, die im Gegenzug später das Insolvenzgeld der Arbeitsagentur kassiert.

Können noch weitere Ansprüche verloren gehen?

Das sei nicht auszuschließen, sagt Elke Trapp-Blocher. Falls die Insolvenzmasse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht ausreicht, wären Urlaubsansprüche und auch Löhne aus der Zeit des Verfahrens in Gefahr. „Zwar werden solche Masseverbindlichkeiten vor den zur sogenannten Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen bedient, dennoch droht im Extremfall ein finanzieller Verlust.“

Expertentipp: Anders sieht es mit älteren Ansprüchen aus, die nicht vom Insolvenzgeld gedeckt sind. Dazu zählen frühere Lohnausfälle, aber auch Überstunden, die Mitarbeiter schon vorher gesammelt haben. „Solche Forderungen sollten Betroffene zur Insolvenztabelle anmelden, sonst werden sie nicht berücksichtigt“, sagt Trapp-Blocher. Allerdings liege die Quote in der Regel im unteren einstelligen Prozentbereich und nur in seltenen Fällen erheblich darüber.