„Es bleibt ein Restrisiko“ - Joballtag eines Sprengmeisters

Hamburg (dpa) - Es ist ein gefährlicher Job: Beim Sprengen oder Entschärfen von Kriegsbomben hantieren Sprengmeister mit hochexplosiven Stoffen. Routine darf in dem Beruf nicht aufkommen - die wäre fatal.

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So richtig Sorgen machen Peter Bodes eigentlich nur die Scheuklappen. „Man darf nie den Respekt verlieren“, sagt der Leiter des Kampfmittelräumdienstes in Hamburg. „Man muss immer hellwach bleiben.“ Auf keinen Fall dürften er und seine Mitarbeiter denken: Diesen Bombenzünder hab ich doch schon x-mal entschärft, da wird nichts schiefgehen. Denn Routine, betont der Sprengmeister, könne tödlich sein: „Wir dürfen nicht in so einen Kanal reinkommen.“ Jeder Einsatz ist schließlich anders, und jeder Zünder auch.

Wie viele Sprengsätze Bodes in seinem Berufsleben schon entschärft hat, hat er nie gezählt. „Keine Ahnung“, sagt der 58-Jährige und schüttelt den Kopf. „Ohne Ende.“ Was in Zukunft auf ihn und seine Kollegen zukommt, lässt sich dagegen zumindest grob abschätzen: Vermutlich rund 107 000 große Sprengbomben wurden im Zweiten Weltkrieg über Hamburg abgeworfen. Darunter waren wohl 14 000 bis 15 000 Blindgänger, von denen bisher mehr als 11 000 unschädlich gemacht wurden. Bleiben also knapp 3000, allein in der Hansestadt. Kleinere Bomben wie Stabbrandbomben nicht mitgezählt.

Egal, wie erfahren man ist: Die Anspannung bleibt bei jedem Einsatz. Werden die Experten alarmiert, dass in Hamburg - meist rund um den Hafen - eine Kriegsbombe gefunden wurde, rücken mindestens vier Mann aus. Den Ablauf schildert Bodes kurz und knapp: „Wir gucken, was das ist. Und dann wird gesprengt oder entschärft.“ Oder, im besten Fall, schlicht sichergestellt. „Das ist einfach: einpacken und wegfahren.“

Die Bomben werden natürlich nicht so gefunden, wie sie in den Vitrinen beim Kampfmittelräumdienst stehen: Unzählige Zünder sind dort sauber und ordentlich aufgereiht. „Am Anfang sind das irgendwelche Dreckklumpen“, erzählt Bodes. Dreckklumpen, die in der Regel nicht bewegt werden dürfen - Erschütterungen sind viel zu riskant, jederzeit könnte der Sprengsatz dann losgehen.

„Wir arbeiten hier an Sachen, die liegen seit 70 Jahren im Boden - und eigentlich hätten die schon detonieren sollen“, sagt Bodes. Die Bomben hätten Frost, Hitze und Wasser abbekommen - kaum kalkulierbar, wie sie reagieren. „Das kann man nicht von außen sehen. Es ist kein Zettel drin, auf dem steht: "Ich zerspring in drei Minuten."“

So, wie Bodes in seiner Dienststelle im Hafen sitzt und mit hessischem Zungenschlag und lebhaften Gesten erzählt, geht er auch zum Einsatz: Jeans, Hemd, Schnauzer. „Für uns gibt es keine Schutzkleidung“, erklärt der 58-Jährige. Die besten Bombenschutzanzüge seien für zwei Kilo Sprengstoff auf einen Meter Entfernung konstruiert - das nützt bei Weltkriegsbomben nichts.

Sein Beruf sei keiner, den man sich in der Schule aussucht, sagt Bodes. „Man kommt zufällig dazu.“ Nach Darstellung des Leiters wird ausschließlich Personal aus der Bundeswehr rekrutiert, aus Heer, Marine oder Luftwaffe. Während einer zweijährigen Ausbildung müssten die Kandidaten dann zeigen, ob sie geeignet sind - unter anderem, indem sie verantwortungsvoll mit den Sprengmitteln umgehen. „Es sind sehr charakterstarke Menschen, die hier arbeiten.“

Als Entschärfer fängt man nach der Ausbildung an, Sprengmeister kann der nächste Karriereschritt sein. Beim Kampfmittelräumdienst in Hamburg arbeiten drei Sprengmeister und sechs Entschärfer. Genaueste technische Kenntnisse sind für sie lebenswichtig: „Wir müssen wissen, wie jedes dieser Teile 100-prozentig funktioniert.“ Jedes dieser Teile - das sind etwa 500 verschiedene Zünder und Zündsysteme. Als besonders gefährlich gelten sogenannte chemische Langzeitzünder.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs habe es in Deutschland mehr als 1200 Kampfmittel-Unfälle gegeben, sagt Bodes, der auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Kampfmittelräumdienste ist - mit Sprengstoffexperten, Bauarbeitern und Bürgern als Opfern. Am dramatischsten in jüngerer Zeit: In Göttingen kamen vor gut vier Jahren drei Sprengmeister bei den Vorbereitungen zur Entschärfung einer Fliegerbombe ums Leben.

„In der Regel erwischt es immer die Erfahrenen und nie die Youngster“, sagt Bodes, „die haben noch so viel Respekt.“ Seine Frau habe sich längst an seinen Beruf gewöhnt, er rufe sie keineswegs nach jedem Einsatz an: „Da hätte ich ja was zu tun.“ Was allerdings nach dem Ausrücken immer Standard ist: Analysieren, warum ein Zünder blindgegangen ist - um daraus zu lernen. Doch allem Wissen zum Trotz: „Auch wenn man alles super kann, es bleibt ein Restrisiko.“