Wettrennen mit dem Chef - Firmenläufe in Deutschland boomen

Stuttgart (dpa) - Dem Chef verschwitzt und mit dreckigen Turnschuhen begegnen - und obendrein noch keuchend und mit hochrotem Kopf? Was für so manchen wie ein Alptraum klingen dürfte, machen tatsächlich immer mehr Arbeitnehmer freiwillig.

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Tausende Deutsche schnüren jedes Jahr die Laufschuhe, um sich bei Firmenläufen mit Kollegen und Vorgesetzten zu messen. Allein zur bundesweit größten Veranstaltung dieser Art - der J.P. Morgan Corporate Challenge in Frankfurt am Main - waren vor kurzem mehr als 70 000 Teilnehmer angemeldet.

„So wie das Laufen seit Jahren einen Boom erlebt, gibt es natürlich auch die Form des Firmenlaufs“, sagt der Sportpsychologe Andreas Marlovits von der BSP Business School Berlin Potsdam. In diesem Fall profitiere der Arbeitgeber aber von dem sportlichen Ehrgeiz: „Firmenläufe können die Bindung an das Unternehmen stärken.“

Einer der größten Anbieter, B2RUN, veranstaltet 2015 in zwölf deutschen Städten Firmenläufe. Im vergangenen zählte der Veranstalter insgesamt rund 115 000 Sportler aus rund 5400 Unternehmen. Allein die Teilnehmerzahl beim Firmenlauf in München wachse seit 2008 jährlich um ein Viertel, heißt es dort.

Grund dürften auch die vergleichsweise niedrigen Einstiegshürden sein: „Explizite Anforderungen an die Teilnehmer gibt es nicht“, erklärt der Anbieter. Rund 90 Prozent der angemeldeten Firmen übernehmen den Angaben zufolge die Startgebühr für ihre Mitarbeiter, die sogar mit Nordic-Walking-Stöcken an den Start gehen dürfen. Mit einer Distanz von etwa sechs Kilometern sind die Strecken zudem auch für Menschen geeignet, die ihre Jogginghose sonst lieber auf der Couch tragen.

Interessenten dürfte es ohnehin genug geben: Nach Angaben der Unternehmensberatung Deloitte gibt es hierzulande zwischen 18 und 22 Millionen Läufer.

Aber warum quälen sich Hobbysportler ausgerechnet mit den Kollegen durch den Park - und das auch noch in der Freizeit? „Im Laufdress sind einfacher Mitarbeiter und Vorgesetzter gleichgestellt“, erklärt Sportpsychologe Marlovits. „Im Firmenlauf ist unter Umständen der einfache Mitarbeiter der Mächtigere.“

Das sportliche Kräftemessen mit dem Chef reizt zum Beispiel Angestellte vom Stuttgarter Technikkonzern Bosch: Beim jährlichen Firmenlauf in der Schwabenmetropole startet den Angaben zufolge mehr als jeder zehnte Teilnehmer unter der Bosch-Flagge. Das Unternehmen hat sogar einen eigenen Online-Shop mit entsprechend bedruckter Kleidung.

„Beim Firmenlauf geht es weniger um Zeiten“, sagt Personalchef Christoph Kübel, der regelmäßig bei Firmenläufen an den Start geht und mit Bosch-Laufgruppen unterwegs ist. „Wichtiger ist das Miteinander vorher und hinterher.“

Ganz so sieht das nicht jeder: „Wenn der Chef dabei ist, gibt man natürlich schon Gas“, sagt Bosch-Mitarbeiter Volker Ströbele. Er selbst sei erst durch die Arbeit zu der Sportart gekommen - und läuft inzwischen sogar Marathon.

„Dass sich die Kollegen unabhängig vom Arbeitsplatz treffen, ist für uns als Arbeitgeber positiv“, sagt Wolf Eberhard, der bei dem Konzern den Bereich Kultur, Sport und Freizeit leitet. „Ich glaube, die Firmen haben entdeckt, dass sie mit so einem Lauf ein Mittel haben, die Leute zusammenzubringen.“

Nach Angaben des Veranstalters B2RUN kommt jedes vierte teilnehmende Unternehmen aus der Industrie, aber auch die Technologie-Branche schicke vergleichsweise viele Mitarbeiter ins Rennen.

Fachleute sehen aber auch Gefahren: „Wenn das Training in die Freizeit verlegt wird, ist dies eine deutliche Erweiterung der Arbeitswelt ins Private“, gibt Lauf-Psychologe Marlovits zu bedenken. Und letztlich stehe doch ein Leistungsgedanke hinter der gemeinsamen Freizeitaktivität: „Spätestens am Start spüren die Läufer einen Sog zur Geschwindigkeit. Dann sind schnell alle guten Vorsätze über Bord geworfen.“

Literatur:

Andreas Marlovits: Lauf-Psychologie. Lauf- und Ausdauersportverlag, Regensburg, 192 Seiten, 16,80 Euro ,ISBN-13: 978-3-89787-167-0